Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
und der Tretmühleneffekt
Sie sind in Ihrem zwei Jahre alten japanischen Wagen auf der Autobahn unterwegs, da werden Sie von einem Auto desselben Typs, allerdings neuester Bauart, überholt. Es sieht merklich anders aus. Und merklich besser. Merklich besser? Die Stoßstange ist etwas größer, und die Rücklichter sind breiter. Außer diesen kosmetischen Details (und vielleicht einigen verborgenen technischen Verbesserungen), die insgesamt eine Variation von nur wenigen Prozentpunkten ergeben, sieht das Auto genau gleich aus – aber das lässt sich nur aufgrund des Äußeren auch gar nicht feststellen. Sie sehen nichts außer den Rücklichtern – und schon sind Sie überzeugt davon, dass Sie das neue Modell brauchen. Das geplante Upgrade wird Sie, wenn Sie Ihren jetzigen Wagen verkaufen, ungefähr ein Drittel des Neuwagenpreises kosten – und hervorgerufen wird es durch kleine, überwiegend kosmetische Veränderungen. Sich ein neues Auto zu kaufen, ist dabei noch günstig im Vergleich zu einem Wechsel des Computers – der Restwert eines alten Computers ist bekanntlich verschwindend gering.
Sie arbeiten mit einem Mac-Computer von Apple. Es ist noch nicht einmal eine Woche her, dass Sie sich das neueste Modell gekauft haben. Ihr Sitznachbar im Flugzeug hat gerade das Vorläufermodell aus seiner Aktentasche gezogen. Es ähnelt zwar entfernt Ihrem Gerät, macht aber einen unglaublich minderwertigen Eindruck. Es ist dicker, der Bildschirm ist wesentlich uneleganter. Und Sie erinnern sich schon nicht mehr an die Zeit, als Sie mit genau diesem Modell arbeiteten und völlig begeistert davon waren.
Dasselbe gilt für Handys: Sie empfinden eine gewisse Geringschätzung für Leute mit älteren, größeren Geräten. Dabei hätten Sie selbst noch vor ein paar Jahren genau dieselben Geräte klein und schick gefunden.
Bei vielen modernistischen Dingen aus dem Technologiebereich – Ski, Autos, Computer, Computerprogrammen – fallen uns die Unterschiede zwischen den Versionen offensichtlich sehr viel stärker ins Auge als die Gemeinsamkeiten. Schnell sind wir dessen, was wir haben, überdrüssig; ständig suchen wir nach so etwas wie einer Version 2.0. Und dann beginnt die Suche nach einer »verbesserten« Version wieder von vorne. Solche Impulse, neue Gegenstände zu kaufen, deren Neuheitsfaktor in absehbarer Zeit verschwunden sein wird, vor allem wenn sie mit noch neueren Gegenständen verglichen werden, nennt man Tretmühleneffekt. Wie der Leser leicht erkennen kann, wurzelt er in derselben Fehlwahrnehmung wie die erwähnte besondere Auffälligkeit von Variationen: Was wir bemerken, sind die Unterschiede, und das erzeugt eine gewisse Unzufriedenheit mit bestimmten Gegenständen und Waren. Dieser Tretmühleneffekt wurde von Danny Kahneman und seinen Kollegen im Zusammenhang mit ihrer Studie zur Psychologie von Gemeinwesen untersucht, die sie »hedonistische Staaten« nennen. Man kauft sich etwas Neues, fühlt sich nach der Anfangseuphorie auch für kurze Zeit zufriedener, kehrt dann aber schnell zurück zur Grundlinie des Wohlbefindens. Wenn Sie also »upgraden«, verschafft Ihnen der Wechsel in der Technologie ein Gefühl von Befriedigung. Wenn Sie sich allerdings erst daran gewöhnt haben, werden Sie nach neuen neuen Dingen Ausschau halten.
Aber offensichtlich befällt uns diese Techno-Unzufriedenheit nicht, wenn es um klassische Kunst geht, um alteMöbel – um alles, was nicht zur Kategorie des Technischen gehört. Vielleicht haben Sie im selben Raum Ihres Hauses, in dem das moderne Fernsehgerät mit Flachbildschirm steht, ein Ölgemälde hängen. Das Ölgemälde ist die Kopie einer klassischen flämischen Szenerie, entstanden vor ungefähr einem Jahrhundert: dunkel dräuender Himmel über Flandern, majestätische Bäume, eine eher beruhigende als inspirierende ländliche Szene. Ich bin mir sicher, dass Sie nicht den Drang verspüren, das Ölgemälde upzugraden, wohingegen der Flachbildschirmfernseher wahrscheinlich bald beim Ortsverband irgendeiner Nierenstiftung landen wird.
Dasselbe gilt für Haushaltsgegenstände – man erinnere sich daran, dass wir versuchen, Tischgewohnheiten aus dem 19. Jahrhundert zu imitieren. Es gibt also noch mindestens einen weiteren Bereich, in dem wir nicht versuchen, die Dinge zu optimieren.
Ursprünglich habe ich diese Zeilen mit der Hand geschrieben und dafür einen alten Füllfederhalter benutzt. Wegen des Zustands meiner Füller zerbreche ich mir nicht den Kopf. Einige sind
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