Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
schon zig Jahre alt; einen von ihnen (den besten) benutze ich seit mindestens dreißig Jahren. Und auch wegen kleinerer Veränderungen in der Beschaffenheit des Papiers mache ich mir keine Gedanken. Ich schreibe am liebsten auf Clairefontaine-Papier und in entsprechende Notizbücher, die sich seit meiner frühen Kindheit kaum verändert haben – wenn überhaupt, sind sie qualitativ etwas schlechter geworden.
Sobald es aber darum geht, das Geschriebene in elektronische Form zu bringen, beschäftigt es mich, ob mein Mac-Computer dafür wirklich das am besten geeignete Instrument ist. Irgendwo habe ich aufgeschnappt, dass die neue Version über eine längere Akku-Laufzeit verfügt, ich visiere also das Upgrade bereits an – wahrscheinlich im Zusammenhang mit meinem nächsten Spontankaufanfall.
Es gibt also eine seltsame Inkonsistenz in der Art und Weise, wie wir mit Dingen aus dem technischen oder dem realen Bereich umgehen. Immer wenn ich in einem Flugzeug neben einem Geschäftsmann sitze, der auf seinem E-Reader den üblichen Unsinn liest, den Geschäftsleute so zu lesen pflegen, wird dieser Geschäftsmann dem Drang nicht widerstehen können, abfällige Bemerkungen darüber zu machen, dass ich ein Buch lese, und die beiden Dinge miteinander zu vergleichen. Angeblich ist ein E-Book »effizienter«. Es liefert die Essenz eines Buchs, die, so die Annahme des Mannes, in Information besteht, und zwar in einer viel bequemeren Art und Weise – er kann eine Bibliothek auf seinem Gerät mit sich herumtragen und so die Zeit zwischen zwei Golfterminen »optimal nutzen«. Noch nie habe ich gehört, dass jemand über die enormen Unterschiede zwischen E-Books und papiernenBüchern gesprochen hat – den Geruch, die haptische Qualität, die Räumlichkeit (Bücher sindin 3-D), die Farbe, die Möglichkeit, darin herumzublättern, die Materialität eines Gegenstands im Vergleich zu einem Computerbildschirm, und die verborgenen Qualitäten wie das undefinierbare Wohlbehagen beim Lesen von Büchern, das sich bei E-Books einfach nicht einstellt. Die Diskussion dreht sich lediglich um Gemeinsamkeiten (also darum, wie sehr dieses wundervolle Gerät einem Buch ähnelt). Wenn Ihr Nachbar jedoch die Version seines eigenen E-Readers mit einem anderen E-Reader vergleicht, dann kommt er unweigerlich auf die winzigen Unterschiede zu sprechen. Dasselbe passiert, wenn Libanesen auf Syrer treffen: Man konzentriert sich auf die winzigen Unterschiede zwischen den jeweiligen levantinischen Dialekten; wenn aber Libanesen mit Italienern zusammenkommen, geht es um die Ähnlichkeiten.
Vielleicht lassen sich diese Beobachtungen mit Hilfe einer Heuristik kategorisieren. Erstens, der Ausschaltknopf. Was einen Ausschaltknopf hat, den ich betätigen muss, wenn ich mir nicht eine Rüge von der Flugbegleiterin einhandeln will, gehört mit Sicherheit in die Kategorie des Neomanischen (das Gegenteil gilt allerdings nicht, denn es gibt viele Dinge ohne Ausschaltknopf, die trotzdem anfällig sind für Neomanie). Bei all diesen Dingen konzentriere ich mich – mit der damit einhergehenden Neomanie – auf Variationen. Erwägen Sie nun den Unterschied zwischen dem Handwerklichen – der anderen Kategorie – und dem Industriellen. In handwerklich hergestellte Dinge ist die Liebe und Sorgfalt des Herstellers eingegangen, sie erfüllen uns mit Zufriedenheit – wir haben nicht dieses Gefühl von Unvollständigkeit, das uns im Umgang mit elektronischen Geräten so häufig beschleicht.
Hinzu kommt zweitens, dass alles Technologische fragil ist. Von einem Handwerker hergestellte Dinge verursachen weniger Tretmühleneffekte. Und sie verfügen über ein gewisses Maß an Antifragilität – es dauert Monate, bis meine maßgeschneiderten Schuhe überhaupt nureingelaufen sind. Dinge mit einem Ausschaltknopf sind meistens nicht so wunderbar antifragil.
Doch leider gibt es auch Gebilde, von denen wir uns aufs Innigste wünschen würden, dass sie etwas fragiler wären – womit wir zur Architektur kommen.
Architektur und die irreparable Neomanie
Es herrscht eine Art evolutionärer Kriegszustand zwischen Architekten, der zu einer Mischform von Neomanie führt. Das Problem bei modernistisch-funktionaler Architektur ist, dass sie nicht in der Weise fragil ist, dass sie physisch zugrunde geht; solche Gebäude bleiben stehen, wo sie sind, und hören nicht auf, unsere Wahrnehmung zu foltern – jegliche prophetischen Gaben, was Fragilität betrifft, werden an ihnen
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