Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
und der offensiven Bereitschaft zum Risiko als auf Schulbildung.
Vorteile auf Kosten anderer
Damit kommen wir zum schlimmsten Fragilisierungsfaktor unserer Gesellschaft, dem gewichtigsten Krisengenerator: Es mangelt an der Bereitschaft, die eigene Haut aufs Spiel zu setzen. Manche Menschen werden auf Kosten anderer antifragil: Sie schöpfen die Vorteile (den Gewinn) von volatilen, schwankenden, ungeordneten Verhältnissen ab und setzen andere den Nachteilen aus, Verlusten oder den sich daraus ergebenden Schädigungen. Und diese Antifragilität auf Kosten der Fragilität anderer ist versteckt: Da man in den intellektuellen Sowjet-Harvard-Zirkeln gegenüber Antifragilität blind ist, wird diese Asymmetrie selten identifiziert; sie gehört (zumindest bislang noch) nicht zum Lehrstoff an Universitäten. Außerdem können, wie wir im Zusammenhang mit der 2008 einsetzenden Finanzkrise gesehen haben, diese explosiven Risiken auf Kosten anderer in der ständig zunehmenden Komplexität moderner Institutionen und politischer Vorgänge nur allzu leicht dem Blick der Öffentlichkeit entzogen werden. In der Vergangenheit brachten es nur Menschen, die Risiken auf sich nahmen und bereit waren, für die Folgen ihrer Handlungen einzustehen, zu hohem Rang oder Ansehen; wer dasselbe zum Wohle anderer tat, galt als Held. Heute ist genau das Gegenteil der Fall. Wir erleben das Aufkommen einer neuen Klasse invertierter Helden: Bürokraten, Banker, die sich in Davos tummelnden Mitglieder der IAND (International Association of Name Droppers) und Akademiker mit zu viel Macht und bar jeder Verantwortlichkeit. Sie zocken das System ab, und die Bürger zahlen die Zeche.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit befand sich so viel Macht in der Hand so vieler Personen, die keinerlei Risiko eingehen und nicht im Geringsten persönlich exponiert sind. Die wichtigste ethische Maxime lautet: Du sollst nicht deine eigene Antifragilität steigern, indem du die Fragilität anderer erhöhst.
III. Das Gegengift bei Schwarzen Schwänen
Ich möchte in einer Welt, die ich nicht verstehe, glücklich leben können. Schwarze Schwäne sind große, unvorhersehbare, irreguläre Ereignisse mit massiven Folgen – unvorhergesehen von einem bestimmten Beobachter; diesen Nicht-Propheten, der von dem Ereignis sowohl überrascht als auch geschädigt wird, nennen wir im Folgenden »Truthahn«. Ich bin der Meinung, dass ein Großteil der Geschichte auf solche Ereignisse zurückgeht, während wir damit beschäftigt sind, unser Verständnis des Gewöhnlichen zu verbessern und dafür Modelle, Theorien oder Darstellungen entwickeln, die außerstande sind, solche Ereignisse nachzuvollziehen oder die Möglichkeit solcher Erschütterungen auszuloten.
Schwarze Schwäne führen unser Denken aufs Glatteis: Weil sie im Nachhinein erklärbar sind, rufen sie in uns den Eindruck hervor, wir hätten sie »irgendwie« vorausgeahnt. Und weil wir auf diese Illusion der Vorhersagbarkeit hereinfallen, erkennen wir nicht, welche Rolle diese Schwäne in unserem Leben spielen. Das Leben ist unendlich viel labyrinthischer, als unser Gedächtnis uns weismachen will – unser Verstand wirkt darauf hin, Geschichte in etwas Glatt-Lineares zu verwandeln, und daher unterschätzen wir die Rolle des Zufalls. Und wenn wir damit konfrontiert sind, befällt uns Angst, und es kommt zu Überreaktionen. Wegen dieser Angst vor dem Zufall und dem Drang nach Ordnung neigen viele menschengemachte Systeme dazu, den negativen Auswirkungen eines Schwarzen Schwans ausgesetzt zu sein, indem sie die unsichtbare oder kaum sichtbare Logik der Dinge zum Erliegen bringen, ohne von seinen positiven Folgen profitieren zu können. Wer bewusst Ordnung anstrebt, erzielt lediglich eine Pseudo-Ordnung; ein gewisses Ausmaß an wahrer Ordnung und Kontrolle über die Dinge erlangt nur, wer den Zufall bejaht.
Komplexe Systeme stecken voller schwer auszumachender Wechselwirkungen und nichtlinearer Reaktionen. »Nichtlinear« bedeutet: Wenn man die Dosis, beispielsweise in der Medizin, oder die Zahl der Mitarbeiter in einer Fabrik verdoppelt, erzielt man nicht das Doppelte des ursprünglichen Effekts, sondern sehr viel mehr oder sehr viel weniger. Zwei Wochenenden in Philadelphia sind nicht doppelt so nett wie eines – ich habe es ausprobiert. Wenn die Reaktion in einem Diagramm dargestellt wird, ist das Ergebnis nicht linear, also eine gerade Linie, sondern eine Kurve. In einer solchen Umgebung sind einfache kausale
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