Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
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Zur Messbarkeit (gewisser) Dinge
Fragilität ist vergleichsweise gut messbar, ganz im Gegensatz zu Risiken, speziell zu Risiken, die mit seltenen Ereignissen zusammenhängen. 1
Wir können (Anti-)Fragilität einschätzen, ja sogar messen, wohingegen wir Risiken und die Wahrscheinlichkeit von Schocks und seltenen Ereignissen nicht kalkulieren können, wie gebildet wir auch immer sein mögen. Risikomanagement, wie es heute gehandhabt wird, ist das Studium eines Ereignisses, das in der Zukunft eintreten wird, und nur ein paar Wirtschaftswissenschaftler und andere Verrückte können aller Erfahrung zum Trotz behaupten, sie seien in der Lage, das zukünftige Vorkommen dieser seltenen Ereignisse »messen« zu können. Dennoch gibt es Dummköpfe, die ihnen das abnehmen, obwohl die Erfahrung mit solchen Behauptungen und die Erfolgsbilanz besagter Wissenschaftler klar dagegen spricht. Fragilität oder Antifragilität hingegen sind eine von mehreren Eigenschaften eines Objekts, sei es ein Couchtisch, eine Firma, eine Industrie, ein Land oder ein politisches System. Wir können Fragilität aufspüren, können sie sehen, ja sogar messen, oder zumindest mit nur geringer Fehlerwahrscheinlichkeit Vergleiche hinsichtlich der Fragilität des einen oder anderen anstellen, während Risikovergleiche (bislang) nicht zuverlässig waren. Man kann nicht glaubwürdig behaupten, ein bestimmtes abseitiges Ereignis oder eine größere Erschütterung sei wahrscheinlicher als eine andere (es sei denn, man hat Spaß daran, sich selbst zu täuschen); dagegen kann man mit sehr viel triftigeren Gründen feststellen, dass ein Objekt oder eine Struktur fragiler ist als eine andere, wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt. Sie können ohne Weiteres behaupten, dass Ihre Großmutter in Bezug auf Temperaturstürze fragiler ist als Sie selbst; dass gewisse Militärdiktaturen im Fall von politischen Umschwüngen fragiler sind als die Schweiz; dass eine Bank fragiler ist als eine andere, wenn es zu einer Krise kommt; oder dass ein schlampig gebautes modernes Gebäude im Fall eines Erdbebens fragiler ist als die Kathedrale von Chartres. Und Sie können vor allem mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen, welches von beiden länger Bestand haben wird.
Anstatt Risiken zu diskutieren (was nichts als feige Prognosegläubigkeit ist), plädiere ich dafür, über Fragilität zu diskutieren. Das hat mit Voraussagen nichts zu tun und bietet außerdem – im Unterschied zum Risikomanagement – das unerschrockene Gegenkonzept der Antifragilität.
Um Antifragilität zu messen, gibt es eine Methode, die dem Stein der Weisen gleicht, eine griffige, einfache Regel, die es uns ermöglicht, Antifragilität in allen möglichen Bereichen aufzuzeigen, vom Gesundheitswesen bis zum Aufbau von Gesellschaften. Im Alltag haben wir sie uns unbewusst zunutze gemacht, im intellektuellen Bereich hingegen bewusst ausgeklammert.
Der Fragilist
Wir nehmen uns vor, der Belästigung durch Dinge, die wir nicht verstehen, aus dem Weg zu gehen. Allerdings neigen manche Menschen auch dazu, das Gegenteil zu tun. Der Fragilist gehört zu der Sorte Mensch, die – selbst freitags noch – in Anzug und Krawatte auftritt; er quittiert Ihre Witze mit eisiger Indignation und hat häufig schon in jungen Jahren Rückenprobleme, weil er entweder an einem Schreibtisch oder in einem Flugzeug sitzt und ständig Zeitung liest. Häufig nimmt er an einem befremdlichen Ritual teil, dem im Volksmund so genannten Meeting. Zu allem Überfluss ist er schließlich noch überzeugt, dass es das, was er nicht sieht, nicht gibt, beziehungsweise dass das, was er nicht versteht, nicht existiert. Er verwechselt also letztlich das Unbekannte mit dem Nicht-Existenten.
Der Fragilist fällt auf die Sowjet-Harvard-Täuschung herein, die (unwissenschaftliche) Überschätzung des Geltungsbereichs der Fachwissenschaften. Aufgrund dieser Wahnvorstellung ist er ein naiver Rationalist, ein Rationalisierer, teilweise auch einfach nur ein Rationalist in dem Sinne, dass er davon überzeugt ist, für ihn seien die Gründe hinter den Dingen automatisch zugänglich. Rationalisierend und vernünftig dürfen wir nicht verwechseln – sie stehen meistens in direktem Gegensatz zueinander. Außerhalb der Grenzen der Physik, vor allem aber in komplexen Bereichen haben die Gründe hinter den Dingen die Tendenz, für uns und speziell für den Fragilisten nicht allzu offensichtlich zu sein. Diese Eigenschaft natürlicher Dinge,
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