Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
sich auf den nächsten Krieg vorbereiten, aber ihn nicht gewinnen. Und eine nachträgliche Anpassung, wie schnell auch immer sie erfolgt, käme auf jeden Fall einen Tick zu spät. 16
Um den Bedingungen einer solchen Unsterblichkeit gerecht zu werden, müssten die Organismen die Zukunft perfekt voraussagen können – fast perfekt reicht nicht. Aber indem die Natur die Organismen immer jeweils eine Lebensspanne durchlaufen lässt, mit gewissen Modifikationen zwischen aufeinanderfolgenden Generationen, hat sie es nicht nötig, zukünftige Zustände vorauszusehen – jenseits einer ganz vagen Vorstellung, in welche Richtung die Dinge sich entwickeln sollten. Eigentlich ist noch nicht einmal eine ungefähre Richtung nötig. Jedes zufällige Ereignis bringt in Form einer ökologischen Variation sein eigenes Gegenmittel mit. Es hat den Anschein, als ändere sich die Natur mit jedem Schritt, als modifiziere sie jeden Augenblick ihre Strategie.
Wie sähe es aus, wenn man das alles auf den Bereich der Wirtschaft und der Institutionen übertragen würde? Wenn die Natur die Wirtschaft lenken würde, dann würde sie nicht ständig Rettungsaktionen für ihre lebenden Mitglieder durchführen. Und sie würde keine Verwaltungs- und Prognoseinstitutionen unterhalten, die versuchen, die Zukunft auszutricksen – sie würde nicht zulassen, dass die Betrugsartisten des United States Office of Management and Budget derartige, aus epistemischer Arroganz geborene Fehler machen.
Betrachtet man die Geschichte als ein komplexes, mit der Natur vergleichbares System, dann sieht man, dass auch hier, wie in der Natur, kein einzelnes Reich den Planeten auf ewig beherrscht – obwohl jede Großmacht von den Babyloniern über die Ägypter, die Perser und die Römer bis hin zum neuzeitlichen Amerika überzeugt war, dass ihre Herrschaft von Dauer sein würde, und obwohl sie alle Historiker hervorgebracht haben, die gleichlautende Theorien formulierten. Systeme, die Zufälligkeit und Unvorhersehbarkeit unterworfen sind, bauen einen über Robustheit hinausgehenden Mechanismus auf, um sich in jeder Generation durch einen kontinuierlichen Wechsel der Populationen und Arten neu zu erfinden.
Eine Grundregel für den Umgang mit Schwarzen Schwänen lautet daher: Die Natur (und naturähnliche Systeme) schätzen die Vielfalt zwischen Organismen mehr als die Vielfalt innerhalb eines unsterblichen Organismus, es sei denn, man sieht die Natur selbst als unsterblichen Organismus an, wie Spinoza das mit seinem Pantheismus getan hat und wie es für heutige asiatische Religionen typisch ist oder für den Stoizismus eines Chrysippos oder Epiktet. Wenn Ihnen ein Kulturgeschichtler über den Weg läuft, können Sie ja mal versuchen, ihm das zu erklären.
Schauen wir uns nun genauer an, wie die Evolution von Zufälligkeit und Unbeständigkeit (in begrenztem Umfang) profitiert. Je mehr Geräusche und Störungen im System auftreten, desto stärker kann sich der Effekt der Reproduktion der Fittesten und der zufälligen Mutationen bei der Herausbildung der Eigenschaften der nächsten Generation ausprägen. (Selbstverständlich dürfen die Schocks dabei nicht so extrem sein, dass sie die Auslöschung einer ganzen Spezies zur Folge haben.) Angenommen, ein Organismus produziert zehn Nachkommen. Wenn die Umgebung vollkommen sicher und stabil ist, werden alle zehn ihrerseits Nachkommen produzieren können. Im Fall von Instabilität jedoch werden fünf dieser Nachkömmlinge (und zwar wahrscheinlich die im Vergleich zu ihren Geschwistern im Schnitt schwächeren) verdrängt, und nur diejenigen, welche die Evolution für die (unterm Strich) besseren hält, werden sich fortpflanzen, wodurch dann das Gen etwas fitter wird. Dasselbe passiert, wenn es unter den Nachkommen eine gewisse Variabilität gibt, die auf zufällig-spontane Genmutation zurückgeht, auf einen Kopierfehler im genetischen Code: Dann werden sich die Besten fortpflanzen und so die Fitness der Spezies vermehren. Die Evolution profitiert also auf zweierlei Weise von Zufälligkeit: von der Zufälligkeit der Mutationen und der Zufälligkeit der Umgebung – beide bewirken auf ähnliche Weise Veränderungen der Merkmale der überlebenden nächsten Generationen.
Selbst wenn nach einem Extremereignis eine ganze Spezies ausstirbt, ist das kein Problem – es gehört zum Spiel. Auch dann greift die Evolution, da die Arten, die überleben, die fittesten sind und nach den untergegangenen Dinosauriern weitermachen werden. Der
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