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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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wir nicht ohne Weiteres (wir denken linear, und solche dosisabhängigen Reaktionen sind nichtlinear). Unser lineares Denken mag keine Nuancen und reduziert Informationen auf das binäre »schädlich« versus »nützlich«.
    Secundo , und darin liegt die eigentliche Schwäche, wird mit diesen Begriffen der Organismus von außen gesehen und als ein Ganzes, eine einzige Einheit betrachtet, allerdings hat die Sache ein paar Facetten mehr.
    Es gibt eine andere, stärkere Variation von Antifragilität, die mit der Evolution zusammenhängt und über Hormesis hinausgeht – tatsächlich unterscheidet sie sich stark von Hormesis, ja ist geradezu deren Gegenteil. Sie kann als Hormesis – Erstarkung unter Schädigung – beschrieben werden, wenn man es von außen betrachtet, nicht aber von innen gesehen. Diese andere Spielart von Antifragilität hängt mit der Evolution zusammen und wirkt auf der Informationsebene – Gene sind Information. Im Unterschied zur Hormesis wird der Organismus in Reaktion auf Belastung nicht stärker, sondern stirbt. Die Vorteile aber werden transferiert; andere Organismen überleben – und diejenigen, die überleben, haben Eigenschaften, die die Gesamtheit der Organismen verbessern, was die Veränderungen zur Folge hat, die gemeinhin in Schulbüchern und im jeden Dienstag erscheinenden Wissenschaftsteil der New York Times mit dem verschwommenen Begriff »Evolution« bezeichnet werden. Die hier thematisierte Antifragilität bezieht sich also nicht auf die Organismen, die prinzipiell schwach sind, sondern auf ihren genetischen Code, der sie überlebt. Dem Code kann das Befinden der Organismen egal sein – immerhin geht ja vieles um ihn herum zugrunde. Die Konkurrenz zwischen Gen und Organismus beschrieb Robert Trivers mit seiner Vorstellung vom »egoistischen Gen«.
    Tatsächlich ist der interessanteste Aspekt der Evolution jener, dass sie nur funktionieren kann, weil es Antifragilität gibt; die Evolution braucht Belastungen, Zufälligkeit, Ungewissheit und Unordnung – während individuelle Organismen relativ fragil sind, profitiert der Genpool von Erschütterungen, da sie seine Fitness steigern.
    Hieraus wird ersichtlich, dass es zwischen der Natur und individuellen Organismen eine Spannung gibt.
    Alles Lebendige oder Organische in der Natur lebt nur eine endliche Zeitspanne und stirbt irgendwann – sogar Methusalem wurde nicht älter als tausend Jahre. Aber wenn etwas stirbt, dann hat es auf die eine oder andere Weise Nachkommen mit einem eigenen genetischen Code produziert, der sich von dem des Elternteils unterscheidet und dessen Information modifiziert. In Damaskus, Jerusalem und natürlich ebenso in Brooklyn existiert Methusalems genetische Information nach wie vor.
    Die Natur erachtet ihre Mitglieder, nachdem deren reproduktive Fähigkeiten erschöpft sind, für nicht mehr sonderlich nützlich (abgesehen vielleicht von den besonderen Zusammenhängen von in Herden lebenden Tieren, so wird beim Homo sapiens die Großmutter gebraucht und bei Elefantenherden die Leitkuh, die anderen dabei hilft, den Nachwuchs aufzuziehen). Die Natur setzt das Spiel auf der Informationsebene, im genetischen Code, fort. Organismen müssen also sterben, damit die Natur antifragil sein kann – sie ist opportunistisch, unbarmherzig und egoistisch.
    Man stelle sich als Gedankenexperiment einen unsterblichen Organismus vor, der so angelegt ist, dass er kein Verfallsdatum vorgegeben hat. Um zu überleben, müsste er allen möglichen zufälligen Ereignissen gewachsen sein, die in seiner Umgebung vorkommen können – allen zukünftigen zufälligen Ereignissen. Aufgrund einer gewissen widerwärtigen Eigenschaft ist ein zufälliges Ereignis aber nun eben leider, nun ja, zufällig. Es kündigt sein Eintreffen nicht an, was es dem Organismus ermöglichen würde, sich vorzubereiten und Vorkehrungen zu treffen, um unerwarteten Schocks standhalten zu können. Für einen unsterblichen Organismus wäre eine vorausgehende Anpassung an alle derartigen Ereignisse aber eine Notwendigkeit. Wenn ein zufälliges Ereignis eintritt, ist es für eine Reaktion zu spät, der Organismus ist also entweder auf den Schock vorbereitet und kann ihm Widerstand leisten, oder er verabschiedet sich.
    Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass der menschliche Körper als Reaktion auf Belastung eine gewisse Überkompensation erbringt, aber das würde längst nicht ausreichen; in die Zukunft sehen, lässt uns das jedenfalls nicht. Der Körper kann

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