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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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und Zufälligkeit entziehen und sie in das Prokrustesbett einer kuscheligen, gemütlichen – allerdings letztlich schädlichen – Modernität packen.
    Prokrustes, eine Figur der griechischen Mythologie, war Besitzer eines Gasthauses, der Reisende dadurch an die Größe seines Betts anpasste, dass er denen, die zu groß für das Bett waren, die Gliedmaßen abschnitt und die zu kleinen auf die erforderliche Länge dehnte. Das hatte ganz ohne Zweifel zur Folge, dass Gast und Bett perfekt zusammenpassten.
    Wenn man einen Organismus wie eine Maschine behandelt, nimmt man eine Vereinfachung, eine Angleichung oder eine Reduktion vor, die einem solchen Prokrustesbett entspricht; das habe ich im dritten Kapitel gezeigt. Häufig handeln wir so aus hehrsten Beweggründen – wir fühlen uns gedrängt, die Dinge zu »regeln« und zu »richten«, bewirken allerdings aufgrund unserer Angst vor Zufälligkeit und unserem Hang zu allem, was glatt und reibungslos läuft, genau das Gegenteil, das heißt wir bringen das System zum Einsturz. 21
    Weitere Themen von Buch II : die Konkurrenz zwischen Mensch und Naturgewalt, das Verlangen nach Volatilität mancher antifragiler Systeme und die Art und Weise, wie wir soziale, politische (und andere) Systeme angreifbar für Schwarze Schwäne machen, indem wir sie überstabilisieren.
    21 Den größten Schaden richten Vereinfachungen der Art an, dass Nichtlineares durch Lineares ersetzt wird. Das ist das am weitesten verbreitete Prokrustesbett.

Kapitel 5
    Der Suk und das Bürohochhaus
    Die Roten und die Weißen, alle kommen nach Zürich – Krieg ist kein Gefängnis – Die Vereitelung der Pläne des Truthahns – Denken Sie daran: Wir befinden uns in Extremistan
    Zwei Arten von Beruf
    Ioannis (John) und Georgios (George) sind Zwillingsbrüder, eineiige, geboren auf Zypern, derzeit beide wohnhaft im Großraum London. John ist seit 25 Jahren im Personalbüro einer großen Bank angestellt, sein Aufgabengebiet sind die Wohnortwechsel von Angestellten seiner Bank weltweit. George ist Taxifahrer. John hat ein Einkommen, mit dem er sicher rechnen kann (jedenfalls glaubt er das), mit Gratifikationen, einem jährlichen vierwöchigen Urlaub und einer goldenen Uhr anlässlich des 25-jährigen Dienstjubiläums. Jeden Monat fließen 3082 englische Pfund auf sein Girokonto bei der NatWest-Bank. Damit stottert er die Hypothek ab, die auf seinem Haus westlich von London liegt, bezahlt die sonstigen Neben- und Haushaltskosten (unter anderem den Fetakäse), und einen gewissen Teil legt er auf die hohe Kante. Er pflegte samstagmorgens, wenn andere sich noch im Bett räkeln, angstfrei aufzuwachen mit dem Gefühl »Das ist ein gutes Leben« – bis zu dem Tag, als die Bankenkrise ausbrach und er feststellen musste, dass seine Stelle plötzlich überflüssig werden könnte. Arbeitslosigkeit würde ihn schwer treffen. Als Experte in Personalfragen hatte er die Implosion von langen Karrieren miterlebt, wenn Menschen im Alter von fünfzig Jahren entlassen wurden und danach nie wieder auf die Beine kamen.
    George, der in derselben Straße lebt wie sein Bruder, fährt ein schwarzes Taxi – das heißt, er hat eine Lizenz, die er sich dadurch erwarb, dass er drei Jahre lang seine Frontalhirnlappen erweiterte, indem er sich den Stadtplan des Großraums London einprägte, was ihn dazu berechtigt, Kunden direkt von der Straße mitzunehmen. Sein Einkommen unterliegt großen Schwankungen. Manche Tage sind »gut«, er verdient mehrere Hundert Pfund; manche sind schlechter, und er deckt nicht einmal seine Kosten ab; doch in all den Jahren hat er im Durchschnitt ungefähr so viel verdient wie sein Bruder. Bis heute gab es nur einen einzigen Tag in seiner 25-jährigen Karriere, an dem er überhaupt keine Fahrt hatte. Da sein Einkommen so stark schwankt, beklagt er hin und wieder, dass er nicht dieselbe berufliche Sicherheit genießt wie sein Bruder – aber faktisch ist das eine Illusion, denn er hat sogar etwas mehr davon.
    Eine zentrale Illusion im Leben besteht darin, anzunehmen, Zufälligkeit sei riskant und schlecht; und Zufälligkeit könne beseitigt werden, indem man Zufälligkeit beseitigt.
    Handwerker, Freiberufler, beispielsweise Taxifahrer oder Prostituierte (ein sehr, sehr alter Beruf), Schreiner, Klempner, Schneider und Zahnärzte haben zwar eine gewisse Volatilität, was ihr Einkommen betrifft, aber sie sind ziemlich robust gegen einen kleineren Schwarzen Schwan, der ihr Einkommen völlig zum Stillstand bringen

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