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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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des entzündlichen Materials, sodass es sich nicht zu einer gefährlichen Menge anhäufen kann. Werden Waldbrände aus »Sicherheitsgründen« systematisch verhindert, verschlimmert das die großen Brände beträchtlich. Aus ähnlichen Gründen ist Stabilität nicht gut für die Wirtschaft: Firmen werden während längerer Perioden beständigen Erfolgs und ohne Rückschläge sehr schwach, und unter der Oberfläche sammeln sich immer mehr verborgene Schwachstellen an – Krisen aufzuschieben ist also keine sehr sinnvolle Maßnahme. Das Fehlen von Fluktuationen am Markt hat zur Folge, dass verborgene Risiken sich ungehindert vermehren können. Je länger der Markt frei bleibt von Erschütterungen, desto größer ist der Schaden, wenn dann tatsächlich eine Erschütterung eintritt.
    Dieser nachteilige Effekt von Stabilität kann wissenschaftlich zweifelsfrei belegt werden. Doch als ich anfing, als Trader zu arbeiten, lernte ich ihn als Heuristik kennen, die von Veteranen angewendet wird: Wenn der Markt einen »neuen Tiefpunkt« erreicht, also auf einen Stand abfällt, wie man ihn seit längerer Zeit nicht erlebt hat, wird »viel Blut fließen«, da massenhaft Menschen in Richtung Ausgang drängen. Diejenigen, die an den Verlust von Schekeln nicht gewöhnt sind, werden viel verlieren und stark in Bedrängnis geraten. Wenn ein solcher Tiefpunkt seit Jahren nicht vorkam, sagen wir seit zwei Jahren, dann spricht man von einem »Zweijahres-Tief«, das größeren Schaden anrichtet als ein Einjahres-Tief. Bezeichnenderweise wird dafür auch der Begriff »Säuberungsaktion« benutzt – die »schwachen Hände« werden aus dem Weg geräumt. Eine »schwache Hand« ist jemand, der fragil ist, ohne sich dessen bewusst zu sein, und sich in falscher Sicherheit wiegt. Wenn viele »schwache Hände« zum Ausgang rennen, verursachen sie kollektiv Unfälle. Ein volatiler Markt lässt es nicht zu, dass längere Zeit ohne eine »Säuberungsaktion« der Risiken gearbeitet wird, und verhindert dadurch den Zusammenbruch des Markts.
    Fluctuat nec mergitur (Es schwimmt mit dem Strom, geht aber nicht unter) lautet ein lateinisches Sprichwort.
    Hungrige Esel
    Bis jetzt lief meine Argumentation darauf hinaus, dass es nicht immer sinnvoll ist, ein antifragiles System vor Zufälligkeit in Schutz zu nehmen. Schauen wir uns nun die Situation an, in der die Hinzufügung von Zufälligkeit eine übliche Vorgehensweise ist – wo also Zufälligkeit den dringend notwendigen Treibstoff für ein antifragiles System darstellt, das permanent nach ihm hungert.
    Ein Esel, der sowohl hungrig als auch durstig ist und von Futter und Wasser gleich weit entfernt steht, würde unweigerlich an Hunger oder Durst sterben. Gerettet werden kann er mit einem zufälligen Stups in die eine oder andere Richtung. Man bezeichnet eine solche Situation mit der Metapher »Buridans Esel«, nach dem mittelalterlichen Philosophen Jean Buridan, der außer diesem Gedankenexperiment auch noch andere, komplizierte Dinge ersonnen hat. Wenn bestimmte Systeme einen toten Punkt erreicht haben, dann ist dieser Zustand einzig und allein durch Zufälligkeit wieder aufzulösen. Wie man sieht, ist die Abwesenheit von Zufälligkeit hier gleichbedeutend mit dem sicheren Tod.
    Die Methode, zufällige Störgeräusche in ein System einzubringen, um seine Arbeitsweise zu verbessern, fand in vielen Bereichen Anwendung. Aufgrund des Phänomens der so genannten stochastischen Resonanz macht die Hinzufügung von zufälligem Rauschen zum Hintergrund den Klang (etwa von Musik) deutlicher hörbar. Und der psychologische Mechanismus der Überkompensation ermöglicht es, Signale inmitten von Lärm zu empfangen; hier geht es nun allerdings nicht um eine psychologische, sondern um eine physikalische Eigenschaft des Systems. SOS -Signale, die zu schwach sind, als dass sie von entfernten Empfängern aufgenommen werden könnten, können in Verbindung mit Hintergrundrauschen und zufälligen Interferenzen hörbar gemacht werden. Indem man dem Signal ein zufälliges Zischgeräusch hinzufügt, kann es sich so weit über die Wahrnehmungsschwelle erheben, dass es hörbar wird – in einer solchen Situation ist nichts so nützlich wie Zufälligkeit, die noch dazu kostenlos ist.
    Man denke außerdem an die Methode des Ausglühens in der Metallurgie, eine Technik, mit der Metall stärker und homogener gemacht wird. Das Material wird dabei erhitzt und kontrolliert wieder abgekühlt, um die Anzahl der Kristalle zu erhöhen und

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