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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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weit verbreitete Selbstzufriedenheit, die nach fast einem Jahrhundert vergleichsweise friedlicher Verhältnisse in Europa, während derer sich die schwer bewaffneten Nationalstaaten herausbildeten, in den Ersten Weltkrieg mündete.
    Natürlich legen wir alle großen Wert auf Frieden und auf wirtschaftliche und emotionale Stabilität – aber wir wollen auf lange Sicht auch nicht als Dummköpfe dastehen. Zu Beginn jedes neuen Schuljahrs lässt man sich impfen, versieht sich also zum Zweck der Immunsteigerung mit einer kleinen Menge eines schädlichen Stoffs, aber die Übertragung dieses Mechanismus auf den Bereich der Politik und Wirtschaft findet nicht statt.
    Was Außenpolitiker wissen sollten
    Das Problem mit künstlich unterdrückter Volatilität besteht nicht nur darin, dass das System äußerst fragil zu werden droht, sondern dass es gleichzeitig keine sichtbaren Risiken mehr aufweist.Man darf nicht vergessen, dass Volatilität immer auch Information bedeutet. Diese Systeme sind meistens zu stark beruhigt, sie weisen nur noch minimale Variabilität auf, während unter der Oberfläche die stillen Risiken immer weiter anwachsen. Die erklärte Absicht politischer Führer und Wirtschaftspolitiker besteht zwar darin, durch Unterdrückung von Schwankungen das System zu stabilisieren, aber erreicht wird tendenziell das Gegenteil. Künstlich beschränkte Systeme werden immer anfälliger für Schwarze Schwäne. In solchen Umgebungen kommt es irgendwann zu massiven Zusammenbrüchen der Art, wie sie in Abbildung 3 dargestellt ist; die Katastrophe trifft alle Beteiligten vollkommen unerwartet und macht Jahre der Stabilität zunichte oder, was für die meisten Fälle gilt, der Endzustand ist schlimmer als der immerhin noch volatile ursprüngliche Zustand. Denn je länger der Zusammenbruch auf sich warten lässt, desto schlimmer wirkt er sich auf das wirtschaftliche und politische System aus.
    Stabilität anzustreben, indem Stabilität hergestellt (und der zweite Schritt ausgelassen) wird, ist bis heute ein in der Wirtschafts- und Außenpolitik grassierendes Dummkopf-Problem. Die Liste ist deprimierend lang: angeschlagene Regierungen wie die in Ägypten vor den Aufständen des Jahres 2011, die von Amerika vier Jahrzehnte lang unterstützt wurden, um »Chaos zu vermeiden«, was unter anderem die Entstehung eines Klüngels von privilegierten Plünderern zur Folge hatte, denen die Supermächte als Rückversicherung dienten – nichts als eine Spielart der Banker, die ihr Prädikat »zu groß, um zu scheitern« ausnutzen, um die Steuerzahler zu betrügen und sich selbst hohe Prämienzahlungen zuzuschustern.
    Saudi-Arabien bereitet mir derzeit die größte Sorge und stößt mich am stärksten ab; das Land ist der Standardfall einer von oben nach unten verordneten Stabilität, die von einer Großmacht aufgezwungen wurde, bei der jeglicher moralische und ethische Maßstab verlorengegangen war – und natürlich geschah das alles letztlich auf Kosten der Stabilität.
    Eine totale Monarchie ohne eigene Verfassung schaffte es, mit den Vereinigten Staaten »verbündet« zu sein. Aber das ist nicht der Kern des moralischen Skandals. Eine Gruppe von 7000 bis 15000 Mitgliedern der königlichen Familie herrscht über die Region und pflegt einen aufwendigen und genusssüchtigen Lebensstil, der in offenem Widerspruch zu den puristischen Ideen steht, die ihr zu dieser Position verholfen haben. Welche Heuchelei: Die Angehörigen von strengen Wüstenstämmen, deren Legitimität sich aus einer Form von Entsagung und Nüchternheit ähnlich jener der Amischen ableitet, können mit Hilfe einer Supermacht ein Leben in Saus und Braus führen – der König unternimmt unverfroren Vergnügungsreisen mit einem Gefolge, das vier Jumbojets füllt. Womit er sich von seinen Vorfahren doch sehr krass absetzt. Die Familie häufte ein Vermögen an, das überwiegend in Safes in Westeuropa lagert. Ohne die USA hätte das Land seine Revolution gehabt, einen regional begrenzten Zusammenbruch erlebt, einige Unruhen, und vielleicht wäre mittlerweile ein gewisses Maß an Stabilität erreicht. Indem man aber die Störungen unterdrückt, verschlimmert man auf Dauer das Problem.
    Natürlich war Stabilität der Sinn und Zweck dieser »Allianz« zwischen der saudischen Königsfamilie und den Vereinigten Staaten. Aber mit welcher Art von Stabilität hat man es hier zu tun? Wie lang kann man ein System in die Irre führen? Die Frage »wie lang« spielt letztlich keine

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