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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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verwickelt zu werden, taten sie ihnen geradezu einen Gefallen – militaristische Versuchungen blieben ihnen erspart, was einer gedeihlichen Entwicklung nur nützen konnte; oberflächlich betrachtet mochte das System ungerecht wirken, doch es ermöglichte den Menschen, sich auf den Handel zu konzentrieren statt auf Krieg. Es beschützte sie vor sich selbst. David Hume führt dieses Argument zugunsten kleiner Staaten in seiner Geschichte von England an: Große Staaten sind ständig versucht, in einen Krieg einzutreten.
    Natürlich ließen weder die Römer noch die Osmanen diese lokale Autonomie aus selbstloser Liebe zur Freiheit ihrer Untertanen zu; es war einfach zweckdienlicher. Eine Kombination aus Imperium (für bestimmte Angelegenheiten) und halb-unabhängigen Regionen (die in Freiheit ihre eigenen Angelegenheiten regeln können) erzeugt mehr Stabilität als das Gebilde, das in der Mitte liegt: der zentralisierte Nationalstaat mit seinen Fahnen und klar gezogenen Grenzen.
    Allerdings unterschieden sich in dieser Hinsicht die Staaten, selbst wenn es sich, wie in Ägypten und China, um zentralisierte Staaten handelte, in der Praxis wenig vom Römischen und Osmanischen Reich – abgesehen von der Bündelung der intellektuellen Instanzen im System der Schreiber und der Mandarine, also einer Monopolisierung des Wissens. Einige von uns werden sich sicher noch an die Tage erinnern, da es kein Internet gab, keine Möglichkeit, die Steuereinnahmen elektronisch zu überwachen. In der Zeit vor der Entstehung der Netzwerke neuzeitlicher Kommunikation (in Form von Telegrammen, Zügen, später Telefonen) mussten Staaten mit Botendiensten arbeiten. Ein lokaler Provinzherrscher war daher in vielen Fragen faktisch ein König, selbst wenn er nicht als solcher bezeichnet wurde. Bis in die jüngste Geschichte hinein entfielen etwa fünf Prozent der Wirtschaft auf den Zentralstaat – dieser Anteil hat sich mittlerweile im modernen Europa verzehnfacht. Außerdem waren die Regierungen hinreichend durch Kriege abgelenkt, sodass sie die wirtschaftlichen Belange den Geschäftsleuten überlassen konnten. 26
    Krieg oder kein Krieg
    Wie sah Europa vor der Schaffung der Nationalstaaten Deutschland und Italien aus? (Bei beiden spricht man von »Wiedervereinigung«, als ob diese Nationen in irgendeiner romantisch verklärten Vergangenheit klar umrissene Einheiten gewesen wären.) Bis zur Bildung dieser idealisierten Einheiten gab es eine sich ständig verändernde, amorphe Masse kleiner Staaten und Stadtstaaten mit dauernd wechselnden Spannungsherden und wechselnden Bündnisverhältnissen. Den längsten Teil ihrer Geschichte zankten sich Genua und Venedig um den östlichen und südlichen Mittelmeerraum wie zwei Huren um ein Stück Bürgersteig. Doch es liegt etwas Beruhigendes in Streitigkeiten zwischen Kleinstaaten: Gebilde mittlerer Größe werden mit mehr als einem Feind nicht fertig, ein Krieg gegen die eine Seite bringt also immer notwendigerweise auf der anderen Seite eine Allianz mit sich. Gewisse Spannungen waren immer irgendwo gegeben, doch hatten sie keine größeren Folgen, ganz so wie die Niederschlagsbedingungen auf den Britischen Inseln: Leichter Regen und kein Hochwasser lassen sich besser handhaben als das Gegenteil, lange Dürreperioden gefolgt von intensiven Regenfällen. Mit anderen Worten: lieber Mediokristan als Extremistan.
    Die verhängnisvolle Gründung von Nationalstaaten im späten 19. Jahrhundert führte dann zu den beiden Weltkriegen mitsamt ihren verheerenden Folgen: Über sechzig Millionen (womöglich bis zu achtzig Millionen) Opfer waren zu beklagen. Der Unterschied zwischen Krieg und kein Krieg wurde ausgesprochen groß, die Diskontinuität war markant. Und ist damit nichts anderes als der Umschlag zu dem Effekt, dass »der Gewinner alles bekommt«, im Bereich der Wirtschaft also zu der Herrschaft seltener Ereignisse. Eine größere Anzahl kleiner Staaten gleicht dem Restaurantsektor, über den ich schon gesprochen habe: Sie ist volatil, aber eine alle mit sich reißende Krise, wie sie etwa das Bankenwesen heimgesucht hat, ist hier ausgeschlossen. Das liegt daran, dass sich dieser Verbund aus vielen unabhängigen, miteinander konkurrierenden kleinen Einheiten zusammensetzt, die jeweils nicht das gesamte System bedrohen und die Macht hätten, es von einem Stadium ins andere umkippen zu lassen. Zufälligkeit ist verteilt, nicht konzentriert.
    Manche Menschen geben sich der naiven Truthahn-Illusion hin, die Welt

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