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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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»Eine wildfremde, dahergelaufene Frau …« Obwohl sie nicht weitersprach, hing ihre Entrüstung wie kalter Rauch in der Luft.
    Die nächsten Wochen hatte ich nicht mehr viel Zeit, an Zacharias zu denken oder mir über Simones Eifersucht Gedanken zu machenoder gar mir selbst Leid zu tun. Bubi war ständig hungrig. Kaum hatte er meine Brüste leer gesaugt und ein paar Stunden geschlafen, schrie er schon wieder nach Nahrung. Ich kam mir vor wie Elsa, die Milchkuh.
    Die Scheune stand ebenfalls kaum eine Nacht leer. Nach einem ziemlich heftigen Streit mit Karl, bei dem ich ihm klar machte, dass seine Geheimniskrämerei mir gegen den Strich ging, stellte er mir den einen oder anderen Ȇbernachtungsgast« sogar mit Namen vor. Warum die Fremden Unterschlupf brauchten, erzählte er mir nicht, und ich fragte auch nicht nach. Er duldete aber, dass ich den Leuten – fast immer waren es Männer – etwas zu essen brachte. Ich solle die Burschen nicht so sehr verwöhnen, grummelte er. Nicht, dass sie uns noch mit einem Hotel verwechselten! Ich hörte gar nicht hin. Seitdem ich Claudines schreckliche Geschichte vernommen hatte, musste ich wieder öfter an meinen eigenen Marsch quer durch den Schwarzwald denken, damals, als ich vor Vater geflüchtet war. Die Angst, die Einsamkeit, der Hunger, die Kälte, die Dankbarkeit für eine unerwartete warme Mahlzeit … Ich konnte gar nicht mehr anders, als mein Auge auf das Wohlergehen der Leute zu richten. Und davon abgesehen fand ich es nur rechtens, den Leuten etwas Gutes zu tun – immerhin ließ sich Karl für den Unterschlupf ja auch bezahlen.
    Vom ersten Tag an war mein Sohn immer bei mir, ich ertrug es nicht, auch nur für kurze Zeit von ihm getrennt zu sein. Franziskas ungeheuerliche Forderung, ich solle mein Kind zu irgendeiner Amme geben, saß mir noch immer wie ein Stachel im Fleisch. Ich war so dankbar, dass alles anders gekommen war!
    Wenn ich im Garten arbeitete – wo es im Mai natürlich besonders viel zu tun gab –, schlief Bubi in einem Wagen, den Karl für ihn mit einem Sonnendach versehen hatte. Ich stellte den Wagen immer unter das kleine Haselnussbäumchen. Karl hatte es für Bubi gesetzt, und dort hatte er auch die Nachgeburt vergraben. Das sei ein Brauchtum hier in der Gegend und würde dem Kind Glück, Gesundheit und Segen bescheren, erklärte er mir. Ich fand eseinfach wunderbar. Wenn Bubi größer ist, kann er seine eigenen Haselnüsse ernten.
    Obwohl ich wirklich genug Arbeit im Haus hatte, bestand Karl darauf, dass ich ihn nun, wo mich kein Bauch mehr behinderte, einmal täglich in den Wald begleitete. Warum nicht, sagte ich mir, wenn’s ihm Freude bereitet. Bubi schlief währenddessen in einem Tragetuch an meiner Brust. Schon nach den ersten Spaziergängen wusste ich nicht, wer mehr Freude empfand: Karl, der seine Gedanken und Empfindungen über seinen geliebten Wald mit mir teilen konnte, oder ich.
    Bäume seien die größten Pflanzen der Welt, erklärte mir Karl. Und er sehe in jedem von ihnen ein Abbild des Kosmos, jeder sei ein Symbol für Reife und Ruhe. Die Wurzeln seien wie die Erde, die Blätter wie das Firmament. Bäume hätten eine Seele, und wenn ein Mensch genau hinhörte, würden sie ihm diese offenbaren. Und so folgten wir der stummen Aufforderung zur Stille und schwiegen gemeinsam, während der weiche Waldboden unter unseren Füßen jeden Schritt verschluckte. Das Wetter war unstet in jenen Tagen, immer wieder erwischten uns kleine Schauer, und nur manchmal huschten flüchtige Sonnenstrahlen in die verwunschenen Winkel, in die Karl mich führte. Einmal wurden wir von einem Eichelhäher angegriffen, weil wir seinem Nest zu nahe kamen, und mussten vom Weg abweichen, noch tiefer in den Wald hinein. Dort war der Boden von Wildschweinen zerwühlt. In den Furchen glitzerte der Regen der letzten Nacht, und es roch erdig und harzig und auf unbestimmte Weise nach Tier. Bizarre Äste, die aussahen wie manche Fabeltiere aus Karls Büchern, säumten unseren Weg. Karl nahm den einen oder anderen davon mit nach Hause. Er wolle Holztiere für Bubi daraus schnitzen, erklärte er.
    Ich, die ich als die Tochter eines Köhlers mitten im Wald aufgewachsen war, begann plötzlich, den Wald mit anderen Augen zu sehen: Ich erkannte die Schönheit der mit Flechten bewachsenen Stämme, ging mit

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