Antonias Wille
die die Leute zu unsauf den Berg führten. Ich glaube, irgendwann haben sich alle in den Moritzhof verliebt.
Claudine und Alexandre nahmen bei ihren Auftritten öfter sogar groÃe Umwege in Kauf, um uns für ein, zwei Tage zu besuchen, und jedes Mal freute ich mich wie ein Kind.
Der Engländer kam im Sommer allerdings nur einmal vorbei, und zwar um uns mitzuteilen, dass er in der Schweiz eine Wirtschaft mit dem Namen »Zum goldenen Pendel« eröffnet habe. Seine Reisen ins Ausland, wo er Uhren verkaufte, hatten einen wohlhabenden Mann aus ihm gemacht, der sich mit der Wirtschaft einen Traum erfüllte. Ha, wie vornehm er nun tat! Mit Schlips und Frack kam er anstolziert, sodass ich ihn im ersten Moment gar nicht erkannte. Aber trotz seiner aufgesetzten Manieren war er der Alte geblieben und lud uns ein, auch einmal eine Nacht unter seinem Dach zu verbringen â als Dankeschön für unsere Gastfreundschaft. »Welche Gastfreundschaft?«, knurrte Karl. »Bisher habt ihr Kerle noch immer für meine Dienste gezahlt.« Da zwinkerte der Engländer mir zu und sagte: »Dir bin ich in der Tat nichts schuldig geblieben, aber die Freundlichkeit deiner Frau ist nicht mit Geld zu bezahlen.« Das hat mich sehr gefreut.
Doch nun haben es Karl und ich nicht mehr geschafft, dem »Goldenen Pendel« einen Besuch abzustatten â¦
Der Sommer kam so rasch, wie sich der Winter verabschiedet hatte. Und er war ebenfalls trocken. Mehr als einmal kam Simone weinend angeschlichen, weil sie sich am Tag zuvor von früh bis spät in den Reutbergen hatte schinden müssen. Der Boden war so hart, dass mit der Hacke fast kein Eindringen möglich war. Dafür wucherten die Disteln umso zahlreicher. Ihre Hände waren oft zerstochen und so wund, dass nicht einmal Gottlieb Königs Heilsalbe half. Auch in meinem Gemüsegarten, auf den ich so stolz war, kümmerten die gelben Rüben vor sich hin, vertrockneten die Himbeeren an den Sträuchern, wurde der Kohl gelb. Nur Karls Bienen ging es gut. Er könne sich nicht daran erinnern, je so eine reiche Honigernte erlebt zu haben, sagte Karl.
Es war eine schöne Zeit. Jeden Morgen fiel mein erster Blickbeim Aufwachen auf Bubis Bett, und dabei dankte ich Gott für seine Gnade, die mich auf den Moritzhof gebracht hatte.
Und ich danke Gott auÃerdem dafür, dass er Karl und mich wenigstens unseren ersten Hochzeitstag hat erleben lassen.
Drei Tage später, am siebten November 1900, war mein Mann tot â¦
Simone war auf dem Weg zur Mühle, als sie Margret traf.
»Grüà dich, Simone. Sag, was gibt es Neues von Rosanna? Ich hab sie seit dem Erntedankfest nicht mehr gesehen, sie kommt ja kaum einmal ins Dorf. Die Ehe scheint ihr gut zu tun â wer hätte das gedacht! Nun, ich komme zum Glück ganz gut ohne Ehemann aus.« Margret straffte ihre Schultern, und ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Und das hab ich nur Rosanna zu verdanken, glaube nicht, dass ich das je vergessen werde. Wenn sie damals nicht ⦠na ja. Also sag, wie gehtâs meinem Glücksengel?«
Glücksengel, von wegen! Rosanna war ihr Schutzengel und sonst nichts, auch wenn sie sich nicht mehr täglich sahen, wie das früher der Fall gewesen war. Erbost starrte Simone auf die neue Schürze der jungen Frau. Die Geschäfte mit Herbert Burgmann, dem DevotionaliengroÃhändler, schienen ja blendend zu laufen!
»Weià auch nicht«, antwortete sie mürrisch.
Margret runzelte die Stirn. »Was soll das heiÃen? Ich dachte, ihr seht euch jede Woche? Hatte Rosanna nicht vorgestern ihren Hochzeitstag? Du meine Güte, wie die Zeit vergeht ⦠Also, wenn ich daran denke, dass â¦Â«
Munter plapperte Margret weiter, während Simone ungeduldig von einem Bein aufs andere trat.
»Wenn du Rosanna siehst, richte ihr schöne GrüÃe von mir aus. Und deinem GroÃvater natürlich auch. Und sag ihnen, dass ich gern an ihr Hochzeitsfest zurückdenke, auch wenn es etwas ⦠ungewöhnlich war.« Mit einem Kichern schulterteMargret ihren prallen Rucksack, in dem sich bestimmt wieder eine Unmenge von Spanschachteln befand, und ging ihres Weges.
Simone zog den Leiterwagen so ruckartig an, dass er einen Moment lang gefährlich auf zwei Rädern schwankte.
Seit einem Jahr war Rosanna nun schon mit dem Alten verheiratet! Ein ganzes Jahr hatte sie ihm bereits geopfert.
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