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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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ihr doch nicht gelang, Rosanna aus ihrem Elend zu befreien? Beim Gedanken an das Leben, das ihr Engel zu führen gezwungen war, spürte Simone einen Stich in der Brust. Und gleich darauf meldete sich wie immer das schlechte Gewissen. Weil sie Rosanna, die ihr das Leben gerettet hatte, damals im Wald, als die Bestie sie anfiel, im Stich ließ.
    Wie sollte man es anders nennen?
    In der Mühle war Simone froh zu erfahren, dass Kathi am Krankenbett ihres Sohnes saß. Eine fürchterliche Erkältung plage den Kleinen, sagte die alte Müllerin. Simone drängte darauf, schnell das Mehl zu verladen. Wenigstens musste sie sich nun nicht auch noch mit Kathis Geschwätzigkeit herumschlagen. Je schneller sie mit ihrer schweren Last wieder daheim war, desto eher konnte sie zum Moritzhof aufbrechen.
    Denn heute war ihr Rosanna-Tag.
    Als sie sich kurze Zeit später auf den Weg den Berg hinauf machte, waren ihre Schritte schwer. Wie hatte sie sich immer auf diese Besuche gefreut! Doch in letzter Zeit war sie im Anschluss an das Wiedersehen mit der geliebten Freundin stets am Boden zerstört. Diese Machtlosigkeit! Zusehen zu müssen, wie ihrEngel litt, dabei aber so tat, als sei sie die glücklichste Frau auf Gottes Erde. Ihr, Simone, brauchte Rosanna nichts vorzumachen. Wie konnte sie glücklich sein bei dem Leben an der Seite eines Greises?
    Simone schob sich die Stirnfransen, die von der feuchten Luft noch krauser waren als sonst, aus dem Gesicht.
    Vielleicht sollte sie noch mehr beten. Vor lauter Arbeit war sie manchmal abends so müde, dass sie gerade noch ein Vaterunser schaffte. Aber heute Abend, ja, da würde sie Gott um Hilfe bitten. Und eines Tages, da war sie sich sicher, würde der liebe Gott ihre Bitte erhören und Rosanna von ihrem Leid erlösen.
    Sie legte sich gerade im Geist verschiedene Gebete zurecht, als sie ein Stück entfernt eine Gestalt entdeckte. Abrupt blieb sie stehen.
    War das nicht der Großvater? Warum kam er ihr entgegen? Simone kniff die Augen zusammen, um in dem starken Nebel besser sehen zu können.
    Nein, er kam ihr nicht entgegen, sondern schien sich am Wegrand zu schaffen zu machen. Für einen alten Mann erstaunlich behände, kletterte er ein Stück den steilen Abhang hinab, bis nur noch sein Oberkörper zu sehen war.
    Beim Näherkommen erkannte Simone, dass eine Schubkarre voller Zwergtannen mitten auf dem Weg stand. Der Alte war also wieder einmal dabei aufzuforsten.
    Â»Grüß dich, Simone.« Er kletterte schwer atmend den Hang wieder hinauf. »Na, hast du für Martini schon alle Gänse gerupft?«
    Simone schüttelte mürrisch den Kopf. Er wusste ganz genau, dass sie das Gänserupfen, von dem man wunde Finger bekam, hasste! Warum sonst hätte er diese Bemerkung gemacht? Selbst in der kalten Novemberluft konnte sie den Geruch von altem Schweiß riechen, den der Mann ausströmte. Widerlich! Sie ballte ihre Hände zu Fäusten.
    Â»Rosanna ist oben im Haus.« Karl Moritz nickte seinerEnkelin zu und holte dann eine Tanne vom Wagen, ohne sich weiter um sie zu kümmern.
    Auch Simone setzte ihren Weg fort, doch kurz darauf rutschte sie auf den nassen Steinen aus. In letzter Sekunde stützte sie sich mit den Händen ab und rappelte sich mühsam wieder hoch. Fast wäre sie zu Fall gekommen.
    Wie vom Schlag getroffen blieb sie stehen. Warum eigentlich sie? Konnte nicht ein anderer … Ihr schwindelte.
    Tausend Bilder schossen ihr kaleidoskopartig durch den Kopf.
    Und keines davon war bunt.
    Alle grau. Und so wirr …
    Rosanna am Krankenbett, wo sie den Alten wie einen Säugling fütterte. Wie sie ihm Windeln anlegte, so wie Mutter das bei Großvater Breuer machen musste. Wie der Alte Rosanna anschrie, weil der Ziegelstein fürs Bett nicht warm genug war für seine kranken, alten Glieder.
    Rosanna … ihr Engel … verdammt zu jahrelanger Pein …
    Wie im Wahn ging sie mit steifen Gliedern zurück zu der Stelle, wo ihr Großvater arbeitete. Wurde von einer so zerstörerischen Wut geschüttelt, dass ihr die Glieder wehtaten.
    Â»Was willst du denn noch? Hast du’s dir anders überlegt mit deinem Besuch bei Rosanna?«
    Wie er sie musterte! Als ob sie nicht ganz bei Sinnen wäre.
    War sie noch bei Sinnen?
    Aus Simones Kehle kroch ein Lachen, das selbst in ihren Ohren fremd klang. Sie spürte eine kalte Glut in sich brennen, die sie erfüllte, die

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