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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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keinen Raum mehr ließ für andere Gedanken, für Gedanken jenseits des Hasses …
    Â»Ist es nicht gefährlich, hier an diesem steilen Hang zu arbeiten?«, fragte sie ihren Großvater mit einer so schrillen Stimme, dass es in ihren Ohren pfiff. Sie ließ unruhig ihren Blick umherschweifen, wollte lächeln, brachte aber nur eine Fratze zustande. »Was, wenn du ausrutschst oder das Gleichgewicht verlierst?«
    Sie streckte ihre Hand aus.
    Es war ganz leicht.
    Eine Energie, die in ihr aufstieg, von der sie nicht wusste, woher sie kam, ließ sie fortfahren: »Vielleicht ist es besser, du machst ein anderes Mal weiter und kommst jetzt mit, zu Rosanna ins Haus. Ich helfe dir.«
    Bevor der Alte etwas erwidern konnte, packte sie seine Hand. Zog erst daran, stieß sie jedoch im nächsten Moment mit aller Macht von sich. Mit der ihr von Gott verliehenen Kraft.
    Es war ganz leicht.
    Karls Schrei gellte durch die Luft, aber Simone hörte nichts.
    Ein Summen wie von einer Heerschar Engel übertönte alles.
    Es war ganz leicht gewesen.

6. Dezember 1900
    Mir ist vor Aufregung so schlecht, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll!
    Heute Mittag kam der Postbote mit einem Brief von Johannes Richter, dem Amtsschreiber und Notar von Rombach. Der Brief war versiegelt, und ich musste dem Boten unterschreiben, dass ich ihn erhalten habe. Ich habe noch nie einen Brief bekommen – und dann gleich so einen! Aus lauter Angst, was wohl darin steht, habe ich ihn erst am Abend aufgemacht. Du meine Güte, was wäre gewesen, wenn ich ihn ein paar Tage liegen gelassen hätte? Oder wenn Karl mir nicht das Lesen beigebracht hätte? Dann wäre ich zu dem Termin morgen früh um neun Uhr nicht erschienen. Und dann?
    Morgen wird also Karls Testament eröffnet. Hat er mich wirklich darin bedacht? Oder ist Blut wieder einmal dicker als Wasser? In diesem Fall würde Franziska alles bekommen, und ich stünde mit leeren Händen und einem Kind auf dem Arm da. Mir ist so bang, dass ich kaum noch atmen kann. Aber vielleicht ist es ja ein gutes Zeichen, dass der Brief ausgerechnet heute, am Namenstag des heiligen Nikolaus, ankam. War der heilige Nikolaus nicht einer, der sich um die Bedürftigen kümmerte?
    Ich frage mich, ob Franziska etwas damit zu tun hat, dass mir die Einladung erst so kurz vor dem Termin zugestellt worden ist. Doch es hängt wohl eher damit zusammen, dass der Herr Notar gerade erst von seiner Bäderreise zurückgekehrt ist.
    Ich war noch nie im Rathaus. »Zimmer drei« steht auf der Vorladung. Hoffentlich werde ich nicht ausgerechnet morgen verschlafen! Simone wäre stolz auf mich, wenn sie wüsste, wie viele Stoßgebete ich heute schon gen Himmel geschickt habe …
    Am liebsten wäre Simone auch zur Testamentseröffnung gegangen, aber nur ihre Mutter war geladen. Die Sorge darüber, was aus Rosanna werden würde, brachte Simone fast um den Verstand.
    Bevor die Mutter das Haus verließ, hatte sie Simone ein gutes Dutzend Aufgaben genannt – als sie zurückkam, hatte Simone gerade einmal die Hälfte davon erledigt. Wenn sie geglaubt hatte, sich dann endlich unbemerkt aus dem Staub machen zu können, hatte sie sich getäuscht! Doch schon kurz darauf war sie froh darüber, denn Franziska rief alle Familienmitglieder zusammen, um ihrem Groll über das ihr widerfahrene Unrecht Luft zu machen. Frohlockend hatte Simone zugehört und sich auf die Lippen beißen müssen, um ein triumphierendes Lachen zu unterdrücken.
    Danke, lieber Gott!
    Als sich Simone endlich auf den Weg zu Rosanna machen wollte, war es später Nachmittag. Doch Franziska Breuer verbot ihrer Tochter schlichtweg, noch jemals einen Schritt in Richtung Moritzhof zu tun.
    Â»Willst du mich etwa festbinden wie die Kühe im Stall?«, schrie Simone sie an und rannte trotzdem los.
    Â»Komm du mir wieder heim, dann setzt es was!«, schrie die Mutter ihr nach, doch das kümmerte Simone nicht. Die paar Schläge würde sie später gern einstecken.
    Jetzt brauchte Rosanna sie.
    Â»Soll ich?« Nervös fuchtelte Rosanna mit dem Briefumschlag herum. »Ich … Es fühlt sich so seltsam an, ich meine, Karl hat mir noch nie geschrieben. Und jetzt …« Erneut füllten sich ihre Augen mit Tränen.
    Simone seufzte. Das ging nun schon so, seit sie angekommen war. Einmal brach Rosanna in Tränen aus, wenige Minuten

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