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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Und niemand wusste, wie lange das noch so gehen würde.
    Ein Jahr, in dem die Freundin ihr immer fremder geworden war.
    Doch was tat sie, Simone, nicht alles, um die alte Nähe wiederherzustellen! Die ganze Woche über sammelte sie mühsam den Klatsch aus dem Dorf, sprach dabei sogar mit Leuten, mit denen sie freiwillig nie ein Wort gewechselt hätte, nur um bei ihrem wöchentlichen Besuch etwas erzählen zu können. Bei der Arbeit zu Hause kassierte sie regelmäßig Schelte, weil sie viel zu oft ihren Kopf durch die Küchenlade steckte, um Gesprächsfetzen aus der Wirtschaft aufzuschnappen, damit sie Rosanna später davon berichten konnte. Selbst mit Elsbeth, ihrer Schwägerin, hatte sie sich ein wenig angefreundet. Nur damit sie Rosanna erzählen konnte, dass sich Zacharias und seine Herzallerliebste schon wieder gestritten hatten. Und dass der kleine Michael, Zacharias’ drei Monate alter Sohn, die ganze Nacht hindurch schrie, weil er eine Ohrenentzündung hatte.
    Und wie dankte Rosanna es ihr? Indem sie die glückliche Ehefrau spielte und so tat, als wäre sie, Simone, eine Fremde. Indem sie ausschließlich um den alten Greis herumscharwenzelte. »Willst du noch eine Tasse Tee, Karl?« und: »Karl, schau, ich habe dir ein Früchtebrot gebacken, das ist deiner Verdauung doch immer so förderlich.«
    Karl, Karl, Karl – immer nur er!
    Manchmal kam Simone fast die Galle hoch. Als sie Rosanna letzte Woche gefragt hatte, ob sie ihren Geburtstag am 20. November bei ihr feiern dürfte, hörte die Freundin auch nur mit halbem Ohr hin. Dabei hatte sie Simone an deren letzten beiden Geburtstagen sogar einen Kuchen gebacken! Mit Eiern drin undviel Honig. Doch jetzt, wo der Alte sie dermaßen in Beschlag nahm, hatte sie für so etwas natürlich keine Zeit mehr.
    Und wenn es nicht Karl war, dann war es Bubi. Du meine Güte, so ein Theater veranstaltete ja nicht einmal Kathi mit ihrem Sohn! Und Elsbeth mit dem kleinen Michael schon gar nicht, der lag oft stundenlang in seinem Bettchen und schrie sich die Kehle aus dem Leib, ohne dass jemand die Zeit fand, nach ihm zu schauen. Bubi hingegen musste nur einen Pieps von sich geben, und schon war Rosanna zur Stelle. Manchmal konnte man sich nicht einmal richtig mit ihr unterhalten, weil Bubi ständig dazwischenkrähte. Natürlich mochte Simone ihr Patenkind, aber was zu viel war, war zu viel.
    Simone bedachte Alois, den Schnider, der auf der anderen Seite der Dorfstraße mit seiner riesigen Rückenkiepe in Richtung des »Fuchsen« ging, mit einem giftigen Blick. Aha! Es waren also wieder neue Kleider fällig. Aber bestimmt nicht für sie. Vor lauter Wut auf alles und jeden versetzte Simone ihrem Wagen einen Tritt.
    Und dann diese seltsamen Besucher, von denen Rosanna manchmal erzählte. Man könnte fast meinen, ihr Schutzengel würde da oben ein Hotel führen. Erst vor zwei Wochen hatte sie von einem Sauerkrautessen berichtet, an dem sechs von Karls Freunden teilgenommen hatten.
    Und hatte sie Simone auch eingeladen? Natürlich nicht.
    Und in der Woche zuvor war wieder einmal diese schreckliche Claudine mit ihrem entsetzlichen Lachen zu Gast gewesen. Schmarotzer, allesamt! Warum merkte Rosanna das nicht? Die Leute umschwärmten sie wie Fliegen einen Zwetschgenkuchen, weil sie wussten, dass es bei Rosanna stets einen Teller Suppe und ein warmes Bett gab.
    Bei dem Gedanken, wie ihr geliebter Engel immer nur ausgenutzt wurde, spürte Simone wieder einmal den drückenden Schmerz der Hilflosigkeit in ihrem Bauch. Warum gelang es ihr nur nicht, Rosanna vor ihrer eigenen Gutmütigkeit zu schützen?
    Wie kam es überhaupt, dass ihr seltsamer, unfreundlicher Großvater so viele Freunde hatte?
    Einmal hatte Simone ihrer Mutter diese Frage gestellt, doch die hatte gar nicht gewusst, wovon Simone sprach. Freunde? Der Großvater? Das war bestimmt nur eine Lügengeschichte, mit der sich Rosanna wichtig machen wollte. Trotzdem hatte sie Simone aufgetragen, bei ihrem nächsten Besuch Augen und Ohren offen zu halten. Franziska redete zwar nicht mehr mit ihrem Vater, wollte aber dennoch über alles informiert sein, was sich auf dem Moritzhof tat. Nur aus diesem Grund war es Simone weiterhin erlaubt, Rosanna zu besuchen.
    Simone seufzte. In der kalten Novemberluft blieb ihr Atem wie eine weiße Wolke in der Luft stehen.
    Was nutzte das Augen- und Ohrenoffenhalten, wenn es

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