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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Mühle nach Brot und Arbeit gefragt hatte. Sofort beschloss sie, Bärbel herzlich aufzunehmen.
    Der Engländer hatte einen Hirten engagiert, der Rosanna und Bärbel half, die neu erworbene Herde sicher auf den Berg zu bringen. Auf dem Moritzhof angekommen, verfrachtete Rosanna die Tiere über Nacht erst einmal in die Scheune. Dann zeigte sie Bärbel ihre Kammer. Das Erste, was das Mädchen tat, war, zu prüfen, wie gut der Strohsack gefüllt war. Als es feststellte, dass es sich gar nicht um einen Strohsack, sondern um eine richtige Matratze handelte, brach es in Tränen aus. Hier könne sie nicht schlafen, das sei alles viel zu fein für eine wie sie, schluchzte Bärbel. Rosanna möge ihr erlauben, im Stall zu nächtigen. Von der Reise übermüdet und zu keiner Auseinandersetzung mehr imstande, willigte Rosanna schließlich ein.
    In den nächsten Wochen verfluchte Rosanna ihren Entschluss, Ziegen zu halten, mehr als einmal. Die eigenwilligen Tiere beschränkten sich nämlich nicht darauf, die steilen Berghänge von nachwachsendem Dickicht zu befreien, sondern taten sich außerdem an jungen Baumschösslingen gütlich, die Karl in seinem letzten Lebensjahr gesetzt hatte. Rosanna war empört, als sie den Schaden bemerkte, aber da war es schon zu spät.
    Bald stand fest, dass Bärbel mit dem Hüten der vierzig Tiere völlig überfordert war. Immer wieder »fraßen sich die Tiere davon«, wie sie sagte, ohne dass sie sie hätte aufhalten können. Dann stiegen sie mit den Vorderbeinen die Obstbäume hoch, futterten die ersten Kirschen direkt von den Zweigen oder scheuerten sich ihre Hörner an den Bäumen und verletzten dabei die Baumrinde. Auch eilig errichtete Gatter, bei derenHerstellung unter anderem Margrets ältester Sohn half, hielten die Viecher nicht im Zaum: Die mit großem Aufwand errichteten Weidezäune wurden durchgenagt oder übersprungen, und schon waren die Ausbrecher wieder auf Abwegen. Nach jedem Vorfall kam Bärbel heulend angelaufen, warf sich vor Rosanna auf die Knie, umklammerte sie und flehte: »Bäuerin, schicken Sie mich nicht fort! Morgen mach ich’s besser, ich schwöre es.« Am liebsten hätte Rosanna Bärbel samt den Ziegen davongejagt, aber das brachte sie nicht übers Herz. Ganz davon abgesehen konnte und wollte sie das viele Geld, das sie für die Tiere gezahlt hatte, nicht einfach verloren geben.
    Am Ende blieb ihr nichts anderes übrig, als mit Bubi im Schlepptau selbst zu helfen, die Ziegen zu hüten. Und sogar dann kam es noch vor, dass sie ausbrachen. Nur an Simones Besuchstag, wenn sie zu dritt hüteten, war den Tieren Einhalt zu gebieten.
    Das Melken verlief dagegen problemlos, und Rosanna war mit der täglichen Milchmenge von gut fünfzig Litern zufrieden. Und was das Käsemachen anging, verstand die junge Bärbel tatsächlich ihr Handwerk: Frischkäse, Hartkäse, mit und ohne Kräuter und hervorragend im Geschmack, waren das Ergebnis nach den ersten drei Wochen. »So etwas Gutes habe ich noch nie gegessen, danach würden sich die Gäste im ›Fuchsen‹ alle zehn Finger ablecken«, sagte Simone, die erstaunlicherweise gegenüber Bärbel keinerlei Eifersucht zeigte. Rosanna schob dies auf den Umstand, dass die Magd ein äußerst schlichtes Gemüt besaß, auf das man wirklich nicht eifersüchtig sein konnte.
    Stanislaus und der Engländer ließen wie verabredet zweimal wöchentlich die kleinen, runden Käselaibe, die Rosanna und Bärbel herstellten, abholen.
    Trotzdem konnte sich Rosanna an ihrem ersten selbst verdienten Geld nicht so recht freuen. Wenn sie abends zu Bett ging, grauste ihr schon vor dem nächsten Morgen, der dank der Ziegen bestimmt wieder neue Schrecken bereit hielt. Sie, dernormalerweise keine Arbeit zu viel war, fühlte sich einfach überfordert. Was nutzt es mir, fragte sie sich, dass ich mit dem Käse gutes Geld verdiene, wenn die Tiere mich gleichzeitig um den Verstand bringen?

22. Juni 1901
    Bubi ist tot.

    Es schüttete, als ob die Welt mit einer zweiten Sintflut gestraft würde. Die Bäume wurden vom Regen nach unten gedrückt, Blätter wehten über den Hof, als wäre es Mitte November und nicht Mitte August. Die wenigen Menschen, die es nicht mehr rechtzeitig in ihre Häuser geschafft hatten, rannten mit tief in die Stirn gezogenen Kappen oder Kopftüchern durch

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