Antonias Wille
dass sie es tat. Weil Simones Besuche wie Tücher waren, mit denen sie ihr schlechtes Gewissen zudecken konnten.
Es ist auch dein Sohn, der gestorben ist, wollte sie Zacharias ins Gesicht schreien. Es ist die Frau, die durch deinen unseligen Samen zur Mutter wurde, die sich nun Tag für Tag, Nacht für Nacht die Augen ausweint. Du bist schuld, dass sie nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Dass ich sie nicht mehr erreiche, dass niemand sie erreicht.
Nicht einmal die schreckliche Claudine, die Rosanna mit ihrer Singerei sonst immer in gute Laune versetzen konnte. Doch oben auf dem Moritzhof gab es keinen Grund mehr, fröhliche Lieder zu singen. Und schon nach zwei Tagen war diese Claudine eilig und mit dem vagen Versprechen wiederzukommen abgereist. Hatte die stumm Trauernde Simone überlassen.
Simone wusste nicht, was schlimmer war: Rosannas Schweigen oder die Momente, in denen sie doch einmal sprach, dennder Hass, der dann aus ihren Worten strömte, machte Simone Angst.
Es war der Hass auf Bärbel, der sie an jenem schwarzen Tag im Juni wieder einmal beim Einfangen der Ziegen hatte helfen müssen.
Nur eine halbe Stunde hatte sie Bubi allein im Garten gelassen. Im Gemüsegarten, der doch eingezäunt war. Bis heute wusste keiner, wie der kleine Kerl es geschafft hatte, zum Forellenteich zu gelangen.
Rosanna verbarg auch nicht ihren Hass auf Kathi, die just an jenem Tag, in der Stunde, da Bubi um sein Leben rang, eine Tochter gebar.
Und Hass auf die Hebamme, die ausgerechnet in jener Woche eine Bäderfahrt unternommen hatte, um ihrem kranken Rücken etwas Gutes zu tun.
Auf den Arzt, der Kathi bei der Geburt geholfen hatte.
Auf sie, Simone, die nicht beharrlich genug auf den Doktor eingeredet hatte.
Was hätte sie denn tun sollen, verdammt noch mal?
Eilig bekreuzigte sich Simone.
Hätte sie dem Arzt wie einem Bullen einen Ring durch die Nase ziehen und ihn daran den Berg hinaufschleppen sollen? Es sei eine SteiÃgeburt, hatte er gesagt, da könne er die Gebärende nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. AnschlieÃend wolle er so schnell wie möglich auf den Moritzhof kommen.
So schnell wie möglich war nicht genug gewesen. Er hatte nur noch Bubis Tod feststellen können.
Simone spürte, wie sich ihre Kehle zuschnürte. Sie hatte ihm doch eindringlich gesagt, dass es dem kleinen Karl nicht gut ging! Dass der Bub, nachdem er aus seiner Ohnmacht erwacht war, winselte wie ein kleines Tier. Dass Rosanna vor lauter Sorge nicht mehr ein noch aus wusste.
Vielleicht hätte sie noch beharrlicher bleiben sollen, als der Arzt an dieser Stelle verdrieÃlich abwinkte.
»Er hat einen Schock! Kein Wunder bei dem eiskaltenQuellwasser, in das er gefallen ist. Davon müssen sich die kleinen Lungen erst wieder erholen. Wickelt ihn in warme Decken und legt ihm einen heiÃen Kirschkernbeutel auf die Brust.«
Das hat Rosanna doch alles längst getan, hatte Simone erwidern wollen. Doch die Worte blieben ihr im Halse stecken, als sie Kathis schmerzerfüllte Schreie aus dem Nebenzimmer hörte.
Und es war schlieÃlich nicht das erste Mal gewesen, dass ihr Patenkind etwas anstellte. Der Junge hatte ständig irgendwelche Schrammen und Macken. Oder er steckte sich irgendwelche giftigen Kräuter oder Steine in den Mund. Und jedes Mal führte sich Rosanna auf wie eine wild gewordene Mutterhenne. Woher hätte sie wissen können, dass es dieses Mal wirklich um Leben und Tod ging?, fragte sich Simone zum hundertsten Mal.
Doch nun war Bubi tot.
Und in Rosannas Augen trug sie, Simone, eine Mitschuld daran.
Rosanna spürte ihre Arme schon lange nicht mehr. In den ersten Stunden war da ein Zittern gewesen, ein Ziehen in den Fingern, ein Verkrampfen der Hände, doch inzwischen war alles tot. Schippe für Schippe trug sie den mit Gras bewachsenen Hügel zwischen der Scheune und dem Spicher ab, schaufelte die Erde samt Grassoden, Steinen und was sie sonst noch zu Tage förderte auf ihre Schubkarre. Karre für Karre fuhr sie dann über den matschigen Grund in Richtung Forellenteich, wo sie ihre Last auskippte. Immer wieder blieb das Rad der Karre im Boden stecken, bewegte sich nicht mehr weiter. Mit schier übermenschlicher Kraft zerrte Rosanna dann an der Schubkarre, drückte mit ihrem ganzen Leib dagegen, schrie vor Erschöpfung und Wut, bis das Rad schlieÃlich nachgab und sich eine Elle vorwärts bewegte.
Den Teich hatte sie am
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