Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
Vom Netzwerk:
die aufgeweichten Gassen in Richtung der sicheren Häuser. Alle Tische im Wirtshaus waren besetzt, dabei war es noch nicht einmal Mittagszeit. Wo sollten die Sommergäste bei diesem Wetter auch sonst hin? Aus Rastatt waren Leute angereist, aus Straßburg und sogar aus Liechtenstein, um die gesunde Höhenluft zu genießen. Nun saßen sie eingehüllt in Schwaden von Zigarrenrauch und Bratwurst im »Fuchsen« fest.
    Obwohl Simone die paar Meter zwischen dem Schlachthaus und der Küche gerannt war, kam sie bis auf die Haut durchnässt drinnen an. Schaudernd drückte sie mit dem Fuß die Tür hinter sich zu. »Bei diesem Wetter jagt man keinen Hund nach draußen!«
    Keuchend hievte sie den schweren Kessel Metzelsuppe auf den Herd, wo er noch einmal erwärmt werden sollte. Dann strich sie sich die Tropfen aus ihrem bleichen Gesicht.
    Â»Und trotzdem willst du heute hoch auf den Berg?« Zacharias machte eine Kopfbewegung zur Tür hin. »Verflixt noch mal, ich sagte doch, ihr sollt für heute ein paar Vesperteller mehr herrichten! Was soll ich mit den lumpigen fünf Platten hier anfangen? Hat noch keiner von euch ins Wirtshaus geschaut?«, herrschte er gleich darauf seine Mutter und Elsbeth an, die sichgerade die Schürze zum Servieren umband. Eilig stellte Elsbeth weitere Platten auf die Anrichte und begann, Speck, Schinken und geräucherte Wurstscheiben darauf zu legen, während sich Franziska abmühte, das Feuer im Herd anzufachen. Durch das nass gewordene Brennholz geriet dies zu einer äußerst qualmenden Angelegenheit.
    Ohne sich um den Tumult ringsum zu kümmern, begann Simone, Lebensmittel in einen Rucksack zu packen: einen Brotlaib, ein Stück Schinken, ein Glas Erdbeermarmelade, ein kleines Leinensäckchen mit getrockneten Pflaumen und eines mit Apfelringen, die Kathie am Tag zuvor vorbeigebracht hatte.
    Alles würde unberührt im Speiseschrank landen. Der Schinken würde versalzen oder Schimmel ansetzen. Das Brot wurde gewiss hart und taugte dann gerade noch als Futter für die Ziegen. Die Trockenfrüchte würden grau werden und die Maden anziehen. Und währenddessen wurde Rosanna immer weniger. So leicht wie eine Feder. Nur noch Ecken und Kanten, nur noch …
    Simone war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie Zacharias gar nicht bemerkte. Erst als sein Schatten auf sie fiel, schaute sie auf.
    Â»Wie geht es ihr?«, fragte er leise.
    Simone zuckte mit den Schultern. »Nicht gut«, presste sie hervor und musste heftig blinzeln. Daran war nur der Rauch schuld. »Sie sagt, sie fühlt sich wie ein Tier in einer Falle. Noch nicht tot, aber auch nicht mehr lebendig.« Ihre Augen brannten qualvoll, aber sie war zu müde, um noch eine Träne weinen zu können. »Ich weiß bald nicht mehr, was ich tun soll oder wie ich ihr helfen kann. Sie schweigt in sich hinein, und wie’s in ihr aussieht, wage ich mir nicht vorzustellen. Der Kleine war doch ihr Ein und Alles.« Simone schluckte hart.
    Zacharias seufzte. »Jetzt sind’s doch schon fast acht Wochen her. Irgendwann geht der schlimmste Schmerz vorüber. Sag ihr das, du bist doch ihre Freundin. Das Leben muss weitergehen, auch wenn’s einem schwer fällt.« Unbeholfen klopfte er seiner Schwester auf die Schulter und wandte sich ab.
    Simone spürte, wie die Wut ihr Kreuz ganz steif werden ließ. Das Leben muss weitergehen, äffte sie ihren Bruder stumm nach. Zacharias machte es sich wie immer einfach. Bei der Beerdigung ein paar Blumen auf das kleine Grab, ein verlegenes Händeschütteln – das war es. Was für ein Wunder, dass er überhaupt den Anstand besessen hatte hinzugehen. Mutter hatte das nicht für nötig befunden. Nicht einmal der Tod ihres Enkels war für sie ein Grund gewesen, den Groll, den sie gegen Rosanna hegte, aufzugeben.
    Â»Da, pack auch noch ein Pfund Butter dazu. Sie muss ja schließlich wieder zu Kräften kommen.«
    Widerstrebend nahm Simone die Butter entgegen, die Zacharias ihr hinhielt. Der Blick, den er in die Richtung warf, wo Elsbeth stand, entging ihr nicht. Natürlich, seine Frau sollte von seiner freundlichen Geste nichts mitbekommen. Was für ein Feigling! Sie fand seine Großzügigkeit verlogen, so wie sie alle in dieser Familie verlogen fand.
    Plötzlich hatte niemand mehr etwas dagegen, dass sie sich um Rosanna kümmerte. Plötzlich waren alle froh darüber,

Weitere Kostenlose Bücher