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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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konnte – wenn jemand in der Rombacher Kirche spricht, dann ist es der Pfarrer und sonst niemand. Doch hatte sie am Ende auch nur einen Pickel weniger? Natürlich nicht.
    Was ihr geholfen hat, war das Schminkzeug, das Claudine mir bei ihrem allerersten Besuch geschenkt hat und für das ich sowieso keine Verwendung habe. Als Simone mir von ihrem glücklosen Versuch erzählte, fiel mir ein, dass ich diesen Beutel noch irgendwo liegen hatte. Nach einigem Herumkramen war er schließlich gefunden. Und nachdem wir eine dicke Schicht Puder auf Simones Gesicht aufgetragen hatten, waren ihre Pickel zumindest teilweise verschwunden. Dann riet ich ihr noch, die Haare nicht so streng nach hinten zu tragen, sondern ein paar Strähnen ins Gesicht fallen zu lassen. Unwillig hat sie meinen Rat befolgt, und nun sieht sie tatsächlich ganz manierlich aus. Sie hat gestrahlt, wie ich es noch nie gesehen habe. Und ich habe mich mit ihr gefreut.
    Ist das etwa ein Verbrechen?
    Simone war in der Stunde meiner größten Not für mich da. Da ist es doch nur rechtens, wenn ich ihr auch einmal helfe.
    Wie sie es schafft, sich immer wieder von der ganzen Arbeit zwischen Wirtschaft, Fremdenzimmern, Wurstherstellung und Garten freizumachen, ist mir ein Rätsel. Und genauso verwunderlich finde ich es, dass die lieben Breuers es zulassen. Denen wäre es doch am liebsten, Simone würde sich auch noch von mir abwenden. Aber das wird nicht geschehen, so gut kenne ich die Kleine.
    Manchmal, das muss ich allerdings gestehen, geht sie mir mitihrer Anhänglichkeit auf die Nerven. »Ich bin nicht dein geliebter Engel!«, habe ich sie vor ein paar Tagen angeschrien, als sie mich zum x-ten Male so nannte. Doch sie setzte nur wieder ihren seelenvollen Blick auf und tätschelte meine Hand. Manchmal kommt es mir so vor, als würde sie mir gar nicht richtig zuhören. Als würde sie nicht mit mir sprechen, sondern mit einem Menschen, den sie sich vor ihrem inneren Auge erschaffen hat. Seltsam ist das …
    Gleich zu Beginn des Jahres 1902 traf Rosanna eine wichtige Entscheidung: Sie würde sich nicht länger von ein paar dummen Tieren tyrannisieren lassen. Deshalb verkaufte sie zwanzig der vierzig Ziegen – zu einem denkbar schlechten Preis, denn wer wollte schon mitten im Winter seine Herde vergrößern? Doch mit den verbliebenen Tieren kam Bärbel schließlich gut zurecht.
    Rosanna verließ nur selten den Hof. Nicht einmal zu Margrets Hochzeit ging sie, die zur Überraschung aller den Devotionaliengroßhändler Herbert Burgmann heiratete. Sie schickte jedoch Bärbel mit einem Geschenk ins Dorf. Wenn aber Gäste auf den Hof kamen, lebte Rosanna auf. Anfang Januar kam Stanislaus Raatz mit seiner Tochter Sieglinde zu Besuch, ein paar Tage später erschien der Engländer. Auch Claudine und Alexandre tauchten zu einem Überraschungsbesuch auf, nachdem ihre Anstellung in Frankreich zu Ende war. Zu Rosannas Bedauern mussten sie schon nach zwei Tagen weiterreisen, doch Claudine versprach, spätestens im März wiederzukommen.
    Nach einem solchen Besuch fiel es Rosanna umso schwerer, die Einsamkeit und Simones erdrückende Zuneigung zu ertragen.

19. März 1902
    Simone war da, aber nur kurz. Sie wollte mich überreden, mit ihr in die Kirche zu gehen. Der Pfarrer würde heute, am Josefstag, eine Skulptur des heiligen Josef, Bräutigam der Maria, enthüllen. Im anschließenden Gottesdienst wolle man seiner, der sein Leben lang für Arme und Kranke da gewesen war, gedenken. Simone war aufgedreht und voller Vorfreude. Nicht einmal meine ruppige Absage ließ das Glänzen in ihren Augen erlöschen. Dann gehe sie eben allein und bete für mich mit, sagte sie und sprang davon, um nur ja den Anfang nicht zu verpassen.
    Noch ein Heiliger in Simones Sammlung! Andere junge Mädchen horten Haarspangen oder sonstigen Kleinkram – Simone sammelt Heilige und ist in ihrer Leidenschaft nicht einmal allein: Seit Karl den Pfarrer so großzügig mit seiner Geldspende bedacht hat, füllt sich die Rombacher Kirche laut Simone mit immer mehr Marienfiguren, dicken Putten, Altaraufbauten und so weiter.
    Kaum war Simone weg, klopfte es erneut an der Tür. Es war Claudine. Wie hab ich mich gefreut! Sie kam allein. Alexandre und die Kleine sind für einige Zeit bei seinem Vater im Elsass. Dem Geigenbauer gehe es gesundheitlich nicht sehr gut, sagt Claudine.

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