Antonias Wille
Ohren. Ebenso gleichförmig waren auch SimonesGedanken â sie kam nicht weiter, konnte nicht einmal sagen, welchen Gedanken sie hätte zu Ende denken wollen. Das war es, was sie fast in den Wahnsinn trieb.
Fünf, sechs, sieben ⦠Abrupt drehte sich Simone vom Fenster weg.
Ihre Unruhe hatte an jenem Tag begonnen, an dem dieser Schildermaler, dieser Helmut Fahrner, angereist war. Irgendetwas war da zwischen ihm und Rosanna ⦠Wenn er in ihre Nähe kam, sprang sie auf wie ein aufgescheuchtes Reh. Lachte zu laut. Rückte sich die Frisur zurecht. War ⦠irgendwie anders.
Dies alles störte sie schon seit Tagen wie ein Stein im Schuh. Das war es, was sie nachts nicht zur Ruhe kommen lieÃ, und wenn sie doch schlief, dann nur unruhig und leicht, aus lauter Angst, etwas zu verpassen. Simone biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie Blut schmeckte.
Rosanna und dieser Mann â nein, das konnte nicht sein! Hastig verdrängte sie den Gedanken, er war zu bedrohlich, einfach zu unglaublich.
Eins, zwei, drei ⦠Abrupt blieb Simone stehen. Rannte sie vor diesem Gedanken davon wie ein Tier auf der Flucht?
Sie hob den Briefbeschwerer von ihrem Schreibtisch auf und drehte ihn in der Hand.
Oder fühlte sie sich nicht vielmehr wie ein Tier, das Angst hatte, angegriffen zu werden? Das sich verteidigen musste, auf Leben und Tod?
»Also, so etwas habe ich mein ganzes Leben lang noch nicht getan!« Rosanna lachte. »Ein Frühstück bei Sonnenaufgang â¦Â« GenieÃerisch streckte sie ihre nackten FüÃe der Sonne entgegen, deren Strahlen ihre blasse Haut kitzelten. Die Schuhe hatte sie achtlos ins Gras geworfen. Plötzlich wurde die Lust, den nassen Tau unter den FuÃsohlen zu spüren, übermächtig. Sie sprang von der karierten Decke auf und drehte sich so schnell im Kreis, dass sich ihr Rock bauschte.
Lächelnd beobachtete Helmut Fahrner sie dabei. »Wenn manSie so sieht, könnte man den Eindruck bekommen, Sie seien hier der Gast und würden das alles zum ersten Mal sehen!« Er machte eine umfassende Handbewegung.
»So kommt es mir auch gerade vor«, erwiderte Rosanna mit einem tiefen Seufzer.
Gestern, als sie mit ihm nach Rombach spaziert war, war es ihr ähnlich ergangen: das Plätschern der Viehtränke in der Mitte des Dorfplatzes, der riesige Kastanienbaum, unter dessen Dach der Heimatverein eine Bank aufgestellt hatte, die Blumentröge vor den Häusern â ihr war es vorgekommen, als sähe sie dies alles zum ersten Mal.
»Wie wäre es mit einem Becher Milch? Bisher haben Sie kaum etwas gegessen und getrunken.« Fragend hob Fahrner die Kanne in die Höhe.
Statt zu antworten, schaute Rosanna versonnen ins Tal hinab, in dessen Mitte sich Rombach wie die Perle in eine Muschel schmiegte. Wie sollte sie ihm sagen, dass sie satt war von all den fremden, betörenden Gefühlen, die in ihrem Innern um den besten Platz stritten? Langsam drehte sie sich zu ihm um. Wie er so dasaÃ, entspannt an den Stamm einer Eiche gelehnt, wirkte er, als sei er eins mit der Natur. Ãber ihnen keckerten Eichelhäher und lieÃen sich von den zwei Eindringlingen nicht im Geringsten stören.
»Hier oben ist man dem Himmel wirklich ein Stückchen näher, nicht wahr? Mein verstorbener Mann hat einmal zu mir gesagt: âºGedanken wecken Gedanken.â¹ Seltsam, dass mir das gerade jetzt in den Sinn kommt.« Sie lächelte nachdenklich. »Das Hotel hält mich normalerweise derart in Trab, dass in meinem Kopf für andere Gedanken gar kein Platz ist.«
Helmut Fahrner schwieg, als wolle er abwarten, ob sie dem noch etwas hinzuzufügen hatte. Dabei ruhten seine Augen in einer Art auf ihr, die sie mit der Wärme eines Wannenbades einhüllte und im selben Moment erschauern lieÃ.
Rosanna schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. Was war nur an diesem Mann, dass allein seine Anwesenheit ausreichte, um sieaus dem Gleichgewicht zu bringen? Sie setzte sich und langte halbherzig nach einem Rosinenbrötchen. Doch statt es zu essen, zerbrach sie es und warf die Krumen auf den Felsvorsprung vor ihnen. Es dauerte nicht lange, bis der erste Spatz danach pickte. Nach kurzer Zeit hatte sich die Nachricht von der ungewöhnlichen Leckerei herumgesprochen, und Rosanna und Fahrner waren von einem ganzen Schwarm von Spatzen umringt.
»Schauen Sie nur!« Lachend zeigte Rosanna auf einen Vogel,
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