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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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alles arme Fabrikarbeiter, die zwölf bis vierzehn Stunden pro Tag für einen Hungerlohn schufteten und sich nach der Schicht noch Arbeit mit nach Hause nahmen, weil das Geld vorn und hinten nicht ausreichte. Eine goldene Nase würden sich nur die Industriellen und die Uhrenhändler verdienen. Ich solle mir mal die Villa Altpeter in Schramberg ansehen. Ein Königspalast sei das, erbaut auf dem Rücken der Arbeiter, die Gärten getränkt mit deren Schweiß. Ein bisschen pathetisch fand ich das schon, aber inzwischen hatte Fahrner es tatsächlich geschafft, mir ein schlechtes Gewisseneinzureden. Mir wollte einfach keine passende Entgegnung einfallen. Mein Gehirn, meine Arme, mein Mund – alles funktionierte langsamer als sonst, gerade so, als hätte jemand mich über und über mit Klebstoff beschmiert. So saß ich nur da und starrte ihn belämmert an. Hoffentlich hatte ich nicht auch noch den Mund offen stehen lassen … Fahrner muss auch so schon einen denkbar schlechten Eindruck von mir bekommen haben.
    Der Käufer werde im Grunde genommen auch betrogen, fuhr er fort. Statt wertvoller Volkskunst, statt echter Schwarzwälder Handarbeit bekäme er Fabrikware mittlerer bis minderer Qualität.
    Inzwischen hatte er sich so warm geredet, dass er nicht einmal mehr niesen oder schniefen musste. Ganz im Gegenteil: Er sah richtig munter aus. Die Sprenkel in seinen Augen funkelten grün und rötlich und braun, als hätte der Herbst ein Feuerwerk darin angezündet.
    Ich war fassungslos. Als hätte der Kerl mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Nicht nur seine Reden sind es, seine ganze Art ist so anders. Er hat etwas an sich, wofür ich einfach keine Worte finde. Vielleicht ist das auch gut so.
    Und was tat dieser Kerl dann?
    Fragt mich mit treuherzigem Blick, ob sich irgendwo ein Stück Kuchen auftreiben ließe, weil er nämlich Lust auf etwas Süßes habe. Und ob ich weiter bei ihm bleiben könne.
    Und was tue ich? Ich dumme Kuh? …
    Es war ein ganz normaler Vormittag. Durch die geschlossene Bürotür drangen die alltäglichen Geräusche des Hotels. Das leise Schurren, das bedeutete, dass die hölzernen Stiegen gewachst und gebohnert wurden. Sieglindes Stimme, die einem der Zimmermädchen den Kopf wusch, weil dieses vergessen hatte, die Schuhe der Gäste zu putzen. Töpfeklappern aus der Küche, wo die Mittagsmahlzeit zubereitet wurde. Es sollte Knöpfle mit Wildragout geben, dazu einen Salat aus Roter Beete und alsNachtisch Grießpudding mit flambierten Kirschen. Auf Simones Schreibtisch lag der Speiseplan für die kommende Woche. Der Koch hatte schon zwei Mal seinen Kopf zur Tür hereingesteckt, um nachzufragen, ob sie ihn fertig habe. Zwei Mal hatte sie ihn unwirsch wieder weggeschickt. Zuvor hatte sie ihn jedoch gefragt, ob er wisse, wo Rosanna sei. Er hatte verneint.
    Auch Sieglinde hatte Rosanna heute noch nicht gesehen.
    Wie ein gefangenes Tier lief Simone in ihrem Büro auf und ab. Sieben Schritte hin. Sieben Schritte wieder zurück. Als sie am Morgen wach wurde, war Rosannas Zimmer schon leer gewesen. Krampfhaft überlegte sie, ob sie einen auswärtigen Termin vergessen hatte, den Rosanna wahrnehmen musste. Wurde ein berühmter Gast erwartet, bei dem es sich Rosanna nicht nehmen ließ, ihn persönlich vom Bahnhof abzuholen? Davon stand allerdings nichts im Gästebuch. War Rosanna in die Druckerei nach Schwend gefahren, um die letzte Lieferung von Postkarten, die in miserabler Qualität gedruckt worden war, zu monieren?
    Sieben Schritte hin. Sieben Schritte wieder zurück. Ein Blick aus dem rückwärtigen Fenster in Richtung der Tennisplätze, ein Blick auf das Gemälde an der Wand neben der Tür. Rosanna hatte das Hotel von einem Heimatmaler in Öl verewigen lassen. Dann ein Blick auf die Berge von Unterlagen auf dem Schreibtisch. Und wenn ihr Leben davon abgehangen hätte – es war Simone unmöglich, sich auf irgendeine Rechenarbeit oder organisatorische Frage zu konzentrieren.
    Ihre Nasenflügel blähten sich wie im krampfhaften Bemühen, Witterung aufzunehmen.
    Etwas lag in der Luft.
    Gefahr. Bedrohung.
    Dass Rosanna unauffindbar war, konnte nicht als Grund, sondern als Folge dieser Bedrohung gelten – zu diesem Schluss hatte es Simones Verstand immerhin schon gebracht.
    Die Aufschlaggeräusche vom Tennisplatz dröhnten laut in ihren

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