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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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sie keinen Schlaf finden würde. Jetzt war sie schon so weit gekommen – aber sie wusste immer noch nicht, woran Rosanna so plötzlich gestorben war:
    Ihr Blick fiel auf das Buch, das Theo ihr geschenkt hatte. »So schreiben Sie einen Bestseller«. Sie prustete verächtlich.
    Â»Also, alles noch mal von vorn!« Sie musste die Unterlagen noch einmal durchsehen, jeden Fetzen Papier, jeden Zeitungsschnipsel, jedes Foto.
    Das war sie Antonia schuldig.
    Das war sie Rosanna schuldig.
    Stunde um Stunde verging, ohne dass sie etwas Nennenswertes entdeckte. Julies Hoffnung schmolz wie Schnee in der Märzsonne. Weil sie nicht wusste, was sie sonst noch tun konnte, nahm sie sich erneut das Fotoalbum mit den Bildern von Rosanna, Simone und dem »Kuckucksnest« vor. Inzwischen kannte sie jedes Detail. Dennoch hatten die Fotografien nichts von ihrer Faszination verloren. Rosannas zeitlose Schönheit, fern jeglicher Modediktate, das Spiel von Licht und Schatten auf ihrem Gesicht, ihre Unnahbarkeit und zugleich ihre Offenheit berührten Julie zutiefst.
    Als sie alles durchgesehen hatte, rutschte ihr ganz hinten, zwischen dem letzten Blatt und dem rückwärtigen Einband, der Stapel Briefe entgegen, den sie zu Anfang schon einmal in den Händen gehalten hatte: Briefe von Gästen, die Rosanna für die schöne Zeit im Allgemeinen oder ein spezielles Erlebnis im Besonderen gedankt hatten. Julie waren sie bisher unwichtig erschienen.
    Sie beschloss gerade, nun auch noch diese Briefe zu lesen, als ihr ein Umschlag auffiel: Er war nicht adressiert. Und er war ungeöffnet.
    Ein Prickeln überfiel Julie, die Härchen an ihren Unterarmen standen plötzlich zu Berge.
    Vorsichtig ritzte sie mit dem Fingernagel den brüchigen Umschlag auf. Ganz gleich, was sich darin befand – sie war die Erste,die das Geschriebene zu lesen bekam. Diese Erkenntnis durchdrang Julie mit aller Deutlichkeit.
    In dem Umschlag befanden sich zwei dicht beschriebene Blätter, die Julie mit zittrigen Fingern auffaltete. Als sie die Schrift sah, stockte ihr für einen Moment der Atem. Die engen, aufrechten Buchstaben und der dünne Tintenstrich waren ihr schon so oft unter die Augen gekommen! In Gehaltsabrechnungen, Eintragungen im Gästebuch, auf alten Speisekarten …
    Es war Simones Schrift.
    Mit bis zum Reißen gespannten Nerven begann Julie zu lesen.
    Nun machten sich die Geister der Toten also doch noch auf den Weg in die Gegenwart.

    31. Oktober 1919
    Das ist es nun – das Ende. Gottes Zorn hat mir das Liebste genommen, das ich auf dieser Welt hatte. Weil ich nicht genug gebetet habe? Weil ich zu hochmütig war? Weil ich geglaubt habe, das Schicksal nach meinen Wünschen formen zu können?
    Aber Gott hatte mir doch ein Zeichen geschickt! Warum soll es dann Hochmut sein, dass ich danach gehandelt habe?
    Trotzdem bin ich bereit, meine Strafe anzunehmen. Aber keiner schenkt meinen Worten Glauben.
    Â»Ich habe Rosanna umgebracht«, sagte ich immer wieder – zu Doktor Wohlauf, der herbeieilte, als sich Rosanna krümmte und vor Schmerzen schrie, als sie sich die Seele aus dem Leib kotzte. Doch er stieß mich zur Seite, als würde er ein störendes Möbelstück aus dem Weg räumen. Säfte, Tinkturen, Tabletten – alles hat er ihr gegeben. Aber der Durchfall, das Erbrechen nahmen kein Ende. Und dann das Röcheln, als ihr die Luft knapp wurde … Nie werde ich dieses Geräusch vergessen. Es wird mich mein Leben lang verfolgen, Tag und Nacht. Wenn sie wenigstens ohnmächtig geworden wäre … Aber sie war bei uns, bis zum letzten Atemzug.
    O Herr im Himmel, hilf! Was habe ich nur getan?
    Â»Ich habe Rosanna umgebracht«, sagte ich auch zu Helmut. Er nahm mich in den Arm und heulte an meiner Schulter wie ein Schlosshund. Er glaubt, die Trauer habe mich wahnsinnig gemacht. Alle glauben das. Doch dem ist nicht so. Gott weiß das.
    Aber was hätte ich denn tun sollen? Einfach weiter zuschauen, wie mein Engel in sein Verderben rennt? Nach allem, was Rosanna für mich getan hat? Wochenlang habe ich darüber nachgegrübelt, wie ich Helmut loswerden könnte. Zuerst habe ich gebetet, er möge einen dringenden Brief erhalten, der ihn vom Hotel weglockt, für immer. Vergraulen ließ er sich ja nicht, da konnte ich noch so garstig sein. Ihn einfach wie den Großvater den Hang hinunterzustoßen habe ich nicht fertig

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