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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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gab es wohl keine Aufnahmen.
    Es war drei Uhr nachts gewesen, als Julie zum ersten Mal ihren Laptop angestellt und mehrere Dateien angelegt hatte: Daten über Rosannas Lebenslauf, Informationen über den »Fuchsen«, in dem Rosanna ihre erste Zeit in Rombach verbracht hatte, Daten zum »Hotel Kuckucksnest« und so weiter.
    Das Ordnen und Sortieren, das Erstellen der Dateien und das Filtern der Informationen hatten ihr ein Gefühl von Sicherheit verschafft. Nichts anderes als eine gewissenhafte Recherche. Als würde jemand an seiner Diplomarbeit sitzen.
    Die Dateien hatten sich mit Namen, Jahreszahlen und Ereignissen gefüllt. Hier und da blieben Lücken, die sich jedoch bestimmt schließen ließen, sobald sie mit der intensiven Lektüre begann.
    Â»Eigentlich könnte ich mich jetzt hinsetzen und eingehend zu lesen beginnen«, schloss Julie ihren Bericht. Als Theo nicht gleich antwortete, fuhr sie fort: »Die Eine-Million-Dollar-Frage lautet allerdings: Wie soll ich alles, was ich lese, jemals so in Worte verpacken, dass Antonia etwas davon hat? Soll ich eine Art Bericht schreiben? Das ist es ja eigentlich, was sie von mir will … Andererseits: Wie trocken sich das anhört! Wie ein Krankenbericht. Ein Jahresbericht vom Sportverein. Ein Unfallbericht.« Missmutig schüttelte Julie den Kopf. Es widerstrebte ihr, Rosannas und Simones Leben in dieser Art abzuhandeln.
    Und da war noch etwas: Rosannas Tod. Irgendwie war esdabei nicht mit rechten Dingen zugegangen. Da Julie in sämtlichen Zeitungsausschnitten nichts Aufschlussreiches gefunden hatte, konnte sie nicht mit Bestimmtheit sagen, was sie auf diesen Gedanken gebracht hatte. Aber er war da und kreiste wie eine lästige Fliege in ihrem Bewusstsein. Vielleicht würden die übrigen Tagebücher, die sie noch nicht gelesen hatte, Licht in das Dunkel bringen. Doch solange sie nicht Rosannas Leben zu Papier gebracht hatte, wollte sie sich nicht mit ihrem Tod beschäftigen.
    Am anderen Ende der Telefonleitung herrschte weiterhin nachdenkliches Schweigen.
    Â»Bist du noch da?« Julie spürte, wie ihre innere Unruhe wuchs. Wie oft hatten Theo und sie in der Vergangenheit gemeinsam scheinbar unlösbare Probleme bewältigt!
    Â»Vielleicht wäre es ratsam, einen Experten hinzuzuziehen. In Emmendingen gibt es doch das Archiv für private Tagebücher – erinnerst du dich an den Artikel, der vor kurzem in der Zeitung stand? Vielleicht solltest du denen mal Rosannas gesammelte Werke zeigen.«
    Â»Ich weiß nicht recht … Ich habe das Gefühl, dass es wichtig ist, die Sachen nicht aus der Hand zu geben. Zur Zeit jedenfalls nicht. Das würde mich nur ablenken …«
    Theo stieß laut den Zigarettenrauch aus. »Tja, da bleibt dir wohl nur das Verfahren ›Augen zu und durch‹!«
    Â»Eher wohl ›Augen auf und durch‹!«, antwortete Julie verdrossen.
    Â»Hey, dich wird doch nicht der Mut verlassen, oder? Denk daran, was wir unseren Leuten immer sagen: Glaubt an eure ›Soul fantasies‹! Lebt sie! Lasst sie Wirklichkeit werden!« Theos rauchige Stimme wurde weich.
    Â»Lasst sie Wirklichkeit werden …«, wiederholte Julie nachdenklich. »Es ist verrückt – jetzt, wo du das sagst, merke ich erst, wie nah ich Rosanna schon nach dieser kurzen Zeit gekommen bin. Für mich ist sie schon Wirklichkeit! Ich …« Julie verstummte. Zu viele Gedanken gingen ihr auf einmal durch den Kopf.
    Â»Ja, das könnte es sein. Ich könnte die Tagebuchausschnitte mit meinen eigenen Interpretationen und Rückschlüssen mischen. Dadurch hätte mein Text zum einen etwas Authentisches, und zum anderen würde Antonia erkennen, dass ich mich wirklich mit der Materie auseinander gesetzt habe. Ich glaube, daran könnte ich Gefallen finden!« Ein wohliger Schauer durchlief Julie.
    Kurze Zeit später beendete sie das Telefonat. Sie hatte keine Zeit mehr zu verlieren.
    Die Tür hatte sich vollends geöffnet.

Tagebuch von Rosanna Moritz

    13. November, im Jahr 1900

    Karl ist tot. Er war mein Ehemann und mehr als fünfzig Jahre älter als ich. Ich habe ihn geliebt. Auf meine Art. Nicht von Anfang an und nicht jeden Tag. Aber jetzt, da er nicht mehr hier ist, ist alles kalt und leer in mir, und rings um mich ist alles dunkel. Es ist, als habe Karl alle Farben mit ins Grab genommen. Und nicht nur die Farben – auch die

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