Antonias Wille
hat nur was von groÃem Betrieb in der Wirtsstube gemurmelt. Von ihrem Besuch auf dem Amt wegen Karls Testament hat sie nichts gesagt. Simone wäre gern geblieben, das hab ich ihr angesehen. Eifersüchtig hat sie Claudine angestarrt. Aber ihre Mutter hat sie hinter sich hergeschleift wie eine störrische Ziege. Wie die Breuers Claudine, Alexandre und die anderen, die Karl die letzte Ehre erwiesen haben, beglotzten! Ja, die Rombacher mögen keine Leute, die anders sind als sie selbst.
Vielleicht werde ich Simone sagen, dass ich nie wieder was von den Leuten aus dem engen Tal mit den engen Köpfen hören will.
Es ist neblig drauÃen, so neblig, dass ich nicht einmal das Haselnussbäumchen sehen kann, das Karl im letzten Jahr gepflanzt hat. Es war Anfang Mai gewesen, kurz nach Bubis Geburt. Das sei so üblich, wenn ein Sohn geboren wird, hatte er mir auf meinen erstaunten Blick hin erklärt.
Während ich hier sitze und schreibe, fällt mein Blick immer wieder auf Bubi, der ohne Freude die hölzernen Bausteine, die Karl ihm zurechtgesägt und auf Hochglanz poliert hat, aufeinander türmt. Es wird nicht lange dauern, dann wird er auf seinen krummen Beinen auf mich zukommen, mich an der Hand nehmen und in Richtung Scheune zeigen, als wolle er mich fragen: Wann kommt er wieder? Wann bringt er mir eins der knorrigen Holztierchen? Manchmal legt Bubi sein Köpflein schräg, als lausche er auf Karls schweren Schritt. Wie soll ich ihm beibringen, dass dieser für immer verklungen ist?
In der Stille, die Karl hinterlassen hat, sind die Geräusche des Hofes unerträglich laut: das Stöhnen der Holzwände, das Arbeiten der Turbine, das Knarren der oberen Treppenstufen bei jedem Tritt. Ich habe das Schlagwerk von Karls Wanduhren angehalten. Ich brauche nichts, das mich daran erinnert, dass die Zeit nicht stehen bleibt. Das Leben geht weiter â ich weià nur nicht, wie.
Ich bin zwanzig Jahre alt und schon Witwe.
Aber ich bin auch Mutter. Mein Sohn braucht mich. Für ihn muss ich mich zusammenreiÃen.
Karl hat mir immer wieder geraten, ein Tagebuch zu führen â seit dem Tag, als er anfing, mir das Lesen und Schreiben beizubringen. Ich war noch nicht lange bei ihm auf dem Hof. Ich sprach ihn noch mit »Sie« an, daran erinnere ich mich. Ich solle meine Gedanken niederschreiben, das wäre nicht nur eine gute Schreibübung, sondern würde auch helfen, das Durcheinander im Kopf aufzuräumen. Aber ich wollte nicht.
Eines Tages, es war ebenfalls kurz nach Bubis Geburt, kam Karl mit einem Stapel Bücher unterm Arm daher, ein jedes in dünnes, braunes Leder gebunden. Die seien für mich, sagte er. Meine Enttäuschung war groÃ, als ich beim Durchblättern nur leere Seiten entdeckte. Zehn Bücher, und alle leer? Keine Geschichten? Keine Abenteuer?
Die müsse ich selbst erzählen, sagte Karl. Doch wieder hörte ich nicht auf ihn.
Auch jetzt bin ich mir noch nicht sicher, ob ich das Durcheinander in meinem Kopf aufräumen will.
Aber vielleicht hatte der alte Sturkopf ja Recht. Wie er so oft Recht hatte in seinem eigentümlichen Leben.
Schon gestern Abend saà ich eine Stunde lang über einem derBücher. Doch auÃer, dass ich einen Tintenfleck auf dem Küchentisch hinterlieÃ, ist nichts passiert.
Heute aber haben die Seiten ihre Unschuld verloren. Ja, Karl, der Anfang ist gemacht! Und jetzt scheinen die hellgrauen Blätter geradezu zu fordern: Los, Rosanna, mehr Tinte, mehr Worte, mehr Gefühle! Aber wie soll das gehen, wenn in mir alles so grau ist wie der traurige Winterhimmel? Worüber soll ich schreiben, nun, da ich meine Trauer bereits in schwarzer Tinte ertränkt habe? Soll ich das wieder und wieder tun?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Karl dies gemeint hat, als er von »Gedanken ordnen« sprach. Aber wie soll ich neue Pläne schmieden, wenn ich nicht einmal weiÃ, ob ich nächsten Monat noch ein Dach über dem Kopf habe?
Wenn ich so darüber nachdenke, bleibt mir nichts anderes übrig, als ganz vorn zu beginnen. Bei den Schattenjahren â¦
Das erste Mal bin ich Franziska Breuer an einem warmen Tag im Mai des Jahres 1897 über den Weg gelaufen, und zwar in der Rombacher Mühle, wo sie bei Käthe, der Müllerin, einkaufte.
Ich war zu diesem Zeitpunkt schon seit vier Tagen unterwegs. Nachts habe ich im Wald geschlafen und tagsüber bin ich auf der groÃen StraÃe
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