Antonias Wille
Gerüche: den Duft seiner Pfeife, den Duft nach Erde, den er von seinen Streifzügen durch den Wald mitbrachte und der seine Hosen und Jacken durchdrang.
Simone ist seit dem Tod ihres GroÃvaters auch völlig verstockt. Ich sage ihr immer wieder, dass sie keine Schuld trägt. Woher hätte sie die Kraft nehmen sollen, ihn zu halten? Aber ich glaube, tief in ihrem Innern gibt sie sich trotzdem die Schuld an seinem Tod. Jedenfalls hat sie noch kein einziges Wort darüber verloren, wie es eigentlich zu diesem verhängnisvollen Unfall am Felsen gekommen ist.
»Immerhin war er schon vierundsiebzig Jahre alt«, hat sie bei ihrem letzten Besuch gesagt â als ob das ein Trost sein könnte â¦
Ein stattliches Alter â so haben es Karls Freunde bei der Beerdigung genannt. Dabei hat sich Karl nie alt gefühlt! Er wollte nichts wissen vom Tod oder von Krankheiten. Ich habe mir darüber stets mehr Gedanken gemacht, vor allem wegen des Hustens, den er gar nicht mehr loswurde. Wenn der ihn dahingerafft hätte, wenn er an einer Lungenentzündung gestorben wäre, so wie der alte Gottfried Breuer vor ein paar Wochen â dann hätten wir mehr Zeit gehabt, uns mit dem Unvermeidlichen abzufinden. Wie ich Karl kenne, hätte er sein letztes bisschen Kraft noch darauf verwendet, mir tausend Verhaltensregeln für die Zukunft an die Hand zu geben: Mach das mit den Bienen so und mit den Ziegen so. Wenn dieTurbine stottert, dann tu dieses, und wenn wieder einmal ein paar Forellen tot im Teich treiben, dann tu jenes. Zu all dem blieb ihm aber keine Zeit mehr. Herrgott! Warum musste er sich bei einem Sturz vom Felsen das Genick brechen wie ein unvorsichtiger Gaul? Dass er auf diese Art sein Leben lassen musste, will einfach nicht in meinen Kopf.
Die Leute unten im Dorf glauben es auch nicht. Simone sagt, es würde gemunkelt, ich hätte ihn in den Tod getrieben. Wie die sich das wohl vorstellen? Soll ich mit der Peitsche hinter ihm hergerannt sein? Oder ihn mit Zaubersprüchen über den Abgrund gejagt haben? Ich war doch gar nicht da, als der Unfall geschah!
Von mir aus können sie sich ihre Mäuler zerreiÃen. Karl hat sich nicht um die Rombacher geschert, und ich werde es auch nicht tun.
Nur ein paar Leute aus dem Dorf sind zur Beerdigung auf den Moritzhof gekommen. Gottlieb König, Margret und natürlich auch die Breuers. Noch bevor er in die Erde kam, ist Franziska Breuer durch die Räume gerannt und hat alle möglichen Sachen an sich genommen. Als Tochter sei das ihr gutes Recht, behauptete sie. Von Simone weià ich, dass sie schon den Amtsschreiber im Rombacher Rathaus aufsuchen wollte, der für das Testament zuständig ist. Doch der Herr ist wohl noch für mindestens drei Wochen verreist. Wahrscheinlich kann Franziska Breuer es nicht erwarten, mich aus ihrem Elternhaus hinauszuwerfen. Wenn sie sich da mal nicht verrechnet ⦠Karl hat mir immer versprochen, dass nach seinem Tod für mich gesorgt sein wird. Doch was, wenn er noch nichts in die Wege geleitet hatte? Der Gedanke lässt mich nachts nicht mehr schlafen. Was soll dann aus Bubi und mir werden? Ein paar Wochen Gnadenfrist â¦
Es hat mir sehr gut getan, dass auch Claudine, Alexandre und ein paar von den anderen zur Beerdigung kamen. Claudine hat gesungen, während Karls Sarg in die Erde gesenkt wurde. Der Leichenbeschauer von Rombach, der gleichzeitig auch der Sargmacher ist, war drei Tage vorher zum MaÃnehmen auf dem Hof gewesen. »Mach den Sarg schön groë, habe ich zu ihm gesagt. »Ich will, dass Karl gerade liegen kann.«
AuÃer dem Rosenkranz habe ich Karl noch ein Ãstchen von Bubis Haselnussbaum in die gefalteten Hände gelegt.
Natürlich lieà ich ihn hier oben, wo auch seine erste Frau begraben liegt, beerdigen. Mehr konnte ich nicht für ihn tun.
Dass ich es Josef Stix â einem Wanderpfarrer â überlassen habe, Karl von dieser Welt in die nächste zu geleiten, ist dem Rombacher Pfarrer bestimmt sauer aufgestoÃen. Aber das kümmert mich überhaupt nicht. Ich war froh, dass sich Josef Stix, der auch schon Bubi getauft hatte, in der Nähe aufhielt und kommen konnte.
Die Luft war an jenem Tag feucht und weià vom Nebel, die Erde roch kräftig nach Eisen und Ton. Als alles vorüber war, marschierten die Breuers sofort wieder nach Hause. Nicht einmal zur Totensuppe sind sie geblieben. Franziska
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