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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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und die wirren Haare aus seiner Stirn gerissen, um in seine Augen sehen zu können. Doch er hatte nur abgewinkt und etwas gelallt, was sie nicht verstand. Kurz darauf war er eingeschlafen, als ob nichts gewesen wäre.
    Nicht nur ein Säufer, sondern ein Mörder!
    Doch hätte Rosanna das je beweisen können? Nein. Sie wusste ja noch nicht einmal, wem sie ihre Anschuldigung hätte vortragen sollen. Sie hatten ihre Kohlenmeiler stets tief im Wald aufgebaut, weit weg von den nächstgelegenen Dörfern und gerade noch so nah bei den Glashütten, dass der Transport der Holzkohle nicht allzu lange dauerte. Hätte sie in die Glashütte zu einem der Aufseher gehen sollen? Die wollten doch mit den schmutzigen Köhlern nichts zu tun haben. Zu einem Dorfvorsteher? Einem Gendarm? Rosanna kannte keinen und wusste auch nicht, wo sie einen solchen Gesetzeshüter hätte finden können.
    Tausend Gedanken waren ihr durch den Kopf gegangen, während Vaters rauschbeseeltes Schnarchen die Hütte erfüllte. Am Ende hatte sie erkennen müssen, dass sie rein gar nichts in der Hand hatte, um den Tod ihrer Mutter zu sühnen.
    Noch in derselben Nacht hatte sie ihr Bündel gepackt. Nur der Gedanke, dass ihre Mutter vielleicht doch noch eines Tages zurückkommen würde, hatte sie die letzten zwei Jahre erdulden lassen. Aber Vaters Worte hatten nicht nur ihre Hoffnung, sondern auch ihre Duldsamkeit zerrieben.
    Während sie leise den Deckel der Dose öffnete, in der Vater das Kohlengeld aufbewahrte, schwor sie sich, sich nie mehr vonihm anschreien und beschimpfen zu lassen. Von den zwanzig Mark, die in der Dose lagen, nahm sie sich zehn. Außerdem stieß sie auf einen zerknitterten, graubraunen Briefumschlag, auf dem in unbeholfenen Buchstaben ihr Name geschrieben stand. »Auf dem Papier darin steht, wann du geboren wurdest und dass wir deine Eltern sind. So einen Zettel braucht man zum Heiraten und wenn man eine Anstellung sucht.« Rosanna wusste nicht mehr, wann die Mutter ihr dies gesagt hatte, aber sie wollte den Umschlag für alle Fälle mitnehmen. Er brauchte ihn schließlich nicht mehr, denn er würde sie nie wieder sehen. Sie würde Arbeit in der Schweiz finden, ganz gewiss! Und bis dahin konnte sie sich irgendwie über Wasser halten, davon war sie überzeugt. Stur wie eine Ziege? Und ob!
    Rosanna hielt mit dem Kneten inne. Für eines waren Vaters Schläge gut gewesen: Sie hatten sie hart gemacht. Hart und furchtlos. Wovor um alles in der Welt hätte sie noch Angst haben sollen?
    Der Teig war nun weich und luftig, seine Oberfläche glänzte. Wenn die Brote so gut gerieten, wie es der Teig versprach, würde die »Fuchsen«-Wirtin keinen Grund zur Klage haben! Rosanna begann die Teigreste von ihren Fingern abzustreifen.
    Mochte der Vater allein zusehen, wie er seine Meiler baute! Mochte er allein das Holz heranschleppen und Reisig und Gras für den Meilerbau sammeln. Und Erde zum Aufschichten. Jetzt hatte er niemanden mehr, der Tag und Nacht die Wache mit ihm teilte.
    Rosanna schluckte. Sie wollte nicht mehr zurückdenken. Nicht jetzt und auch später nie mehr. Es war vorbei.
    Â»Mai ohne Regen – fehlt’s allerwegen, heißt’s bei uns!«
    Sie zuckte zusammen. Als sie sich umdrehte, sah sie einen jungen Burschen im Türrahmen stehen. Er grinste.
    Â»Ganz schön warm heute, nicht wahr? Tut mir Leid, wenn ich dich erschreckt habe.«
    Rosanna nickte. »Mairegen bringt Segen, da wächst jedes Kind, da wachsen die Blätter und Bäume geschwind – so heißtes bei uns«, erwiderte sie. Dann erst fragte sie sich, wer der junge Mann eigentlich war, der so selbstbewusst mit verschränkten Armen im Türrahmen lehnte. Er war nicht sonderlich groß, wirkte aber kräftig, was damit zusammenhing, dass er offenbar gut ausgeprägte Muskeln hatte. Er sah aus wie ein Mann, der ordentlich schaffen konnte und dafür gut zu essen bekam. Rosanna hatte zudem bei einem Mann noch nie einen solch vollen Haarschopf gesehen – die Köhler, unter denen sie aufgewachsen war, hatten fast alle schütteres Haar, und viele von ihnen waren äußerst mager. Kein Wunder bei dem bisschen, was bei ihnen in den Suppentopf kam!
    Als hätte der junge Mann Rosannas Gedanken verfolgt, fragte er nun: »Und wo ist ›bei uns‹?«
    Â»In der Gegend um Freudenstadt«, erwiderte Rosanna.
    Â»Ach so!

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