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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Franziska nicht gelten lassen.»Zum Moritzhof führt nur ein Weg hinauf. Wenn du dich also nicht gerade dumm anstellst und von einer steilen Klippe stürzt, kommst du unweigerlich da oben an!«
    Es war ein stiller Tag, der Schnee schluckte alle Geräusche, und kein einziger Vogel war zu hören.
    Während Rosanna ihrem eigenen Atem lauschte, versuchte sie, sich an all das zu erinnern, was sie in den letzten Monaten über Karl Moritz erfahren hatte: dass er seit dem Tod seiner Frau vor zehn Jahren allein auf dem Berghof lebte, dass er kurz darauf seine Milchkühe verkauft und die Milchwirtschaft aufgegeben hatte, aber weiterhin Weideland kaufte, als ob eine riesige Herde Vieh im Stall stünde. Offenbar schwang er seltsame Reden darüber, dass er »die Bäume retten« wolle. Erst ein paar Wochen zuvor hatte Kathi erzählt, dass er zwei Harzer mit einer Flinte aus seinen Wäldern gejagt habe. »Ich lasse nicht zu, dass ihr meine Bäume verletzt! So fängt’s an: Zuerst sterben die Bäume und dann die Leute!« Kathi hatte für ihre Parodie des alten Mannes einige Lacher eingeheimst. Ob Harzer, Köhler oder auch gewöhnliche Rindenschäler – scheinbar hegte Karl Moritz für sie alle nur tiefste Verachtung. Rosanna konnte das nicht verstehen. Wovon sollten die Menschen denn leben, wenn nicht von den Erträgen aus dem Wald? Sie seufzte. Bei diesem seltsamen Kauz würde sie als Köhlertochter gewiss gleich auf Widerstand stoßen.
    In Rombach ließ sich Karl Moritz nie blicken. Wenn er überhaupt jemals Einkäufe tätigte, dann musste das jenseits der Grenze in der Schweiz sein, die man vom Moritzhof aus scheinbar über geheime Pfade erreichen konnte. Der Laib Brot, die Würste und die Scheibe Speck, die Katharina ihm jede Woche brachte, machten mit Sicherheit nur einen Teil seiner Lebensmittel aus. Ein paar Bienenvölker besaß Karl Moritz – Kathi hatte einmal erzählt, dass er von ihr verlangt hatte, ihm beim Honigschleudern zu helfen. Und Obstbäume gab es dort oben wohl auch genug. Im Spätsommer hatte Kathi mittwochsmehrmals Pflaumen und Birnen gedörrt. Karl Moritz hatte dafür eigens einen Apparat konstruiert, dessen Bedienung Kathi nicht ganz geheuer gewesen war.
    Franziskas Vater war ein Bastler – ständig schien er irgendeine neue Vorrichtung auszuprobieren, und jedes Mal beschwerte sich Kathi lautstark am Abendbrottisch darüber. Karl Moritz war also ein etwas verrückter Alter, der seine Tage mit Erfindungen verbrachte – wenn er nicht gerade krank war. Letzte Woche habe der Großvater nicht gut ausgesehen und gehustet, hatte Kathi erzählt, was seine Laune nicht gerade verbesserte.
    Rosanna hätten weder der Husten noch irgendwelche Maschinen oder wild gewordene Bienenvölker etwas ausgemacht, aber vor den Wutanfällen, in die der alte Mann so oft und scheinbar ohne Grund verfiel, hatte sie Angst. Wie würde der Alte reagieren, wenn anstelle von Kathi ein fremdes Gesicht auftauchte? Und dann noch an einem ungewohnten Tag?
    Doch als der Weg eine letzte Windung machte und endlich wieder eben wurde, überwog Rosannas Erleichterung darüber, es geschafft zu haben. Was konnte ihr ein alter Mann schon anhaben? Katharina hatte er bisher ja auch nicht den Kopf abgerissen! Wahrscheinlich war das meiste nur Gerede, und dass Kathi gern übertrieb, wusste schließlich jeder. Rosanna war in all diese Gedanken so vertieft, dass sie sich gar nicht fragte, warum sie sich diese zusätzliche Aufgabe auch noch hatte aufbürden lassen.
    Ihr ursprünglicher Plan, in die Schweiz zu reisen, war in weite Ferne gerückt.

Noch bevor ich den Hof im dichten Nebel sehen konnte, roch ich es: den vertrauten Geruch von Maische, der beim Brennen von Schnaps entsteht. Dann hörte ich eine Männerstimme. Und noch eine. Raues Lachen. Ich konnte eine gewisse Schadenfreude nicht unterdrücken: Franziskas Vater ein Schwarzbrenner? Das Wetter war jedenfalls äußerst geeignet dafür. Auch Vater und die anderen Köhler hatten nur im Winter Schnaps gebrannt, weil sie dann den Schnee als Abkühlmasse benutzen konnten. Und bei solch schlechtem Wetter durften sie zudem davon ausgehen, dass sich der städtische Zollbeamte bestimmt nicht so tief in den Wald hinein verirrte. Beste Bedingungen also, die Fässer mit den angeschlagenen Kirschen vom Sommer, die nie eine Zollmarke gesehen

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