Antonias Wille
Reihe.
Mit einem Lächeln und leicht bebender Hand hielt sie dem Pfarrer die gröÃte ihrer Kerzen entgegen. Mühevoll hatte sie an den vergangenen Abenden die Rundung mit einem stilisierten Taufbecken aus feinen Wachsstreifen verziert und dieses noch mit wächsernen Blüten umrankt.
Der Pfarrer machte einen Schritt zur Seite und flüsterte seinem Messdiener etwas zu, woraufhin dieser heftig den Weihrauch zu schwenken begann.
Rosanna hielt noch immer die Kerze hoch.
Der Pfarrer hüstelte und holte aus seiner Soutane ein verschmutztes Taschentuch, in das er sich ausgiebig schnäuzte.
Rosanna hielt die Kerze hoch.
Der Pfarrer wandte sich um und flüsterte seinem anderen Messdiener etwas ins Ohr, woraufhin dieser etwas entgegnete. Der Pfarrer begann erneut zu flüstern.
Die Kerze wurde immer schwerer.
Als Rosannas Arm schlieÃlich zu zittern begann, lieà sie die Kerze sinken und verstaute sie mit groÃer Sorgfalt im Korb.
Hinter ihren Augen brannte es.
Die umstehenden Frauen stieÃen laut die Luft aus, die sie unwillkürlich angehalten hatten. Hier und da war ein unterdrücktes Kichern zu hören.
In Rosannas Hals bildete sich ein Knäuel, das ihr die Kehle verschloss. Sie glaubte daran zu ersticken.
Am liebsten hätte sie sich in irgendeinem Loch verkrochen.Stattdessen schlich sie mit gesenktem Blick davon. Von rechts bekam sie einen Stoà in die Seite, sodass sie stolperte und beinahe ihren Korb verlor. Niemand entschuldigte sich wegen der Rempelei.
Sie war schon in der Mitte des Kirchganges angelangt, als sie abrupt stehen blieb.
Sollte ihr Kind später einmal zu hören bekommen, dass sie vor lauter Scham aus der Kirche gerannt war?
Diese Genugtuung wollte sie niemandem gönnen, heute nicht und in Zukunft auch nicht.
Sie zwang sich, tief Luft zu holen, und das Knäuel in ihrer Kehle schrumpfte langsam.
Rosanna machte auf dem Absatz kehrt, zwängte sich zwischen den Frauen hindurch, die ihr empörte Blicke zuwarfen, und trat so nahe an den Pfarrer heran, dass er nicht anders konnte, als sie anzuschauen. So laut, dass es auch in den hintersten Reihen zu hören war, sagte sie: »Mein Kind wird zur Welt kommen! Und wenn es auch Ihren Segen nicht hat, den unseres Herrgotts hat es gewiss, denn vor seinen Augen sind alle Kinder gleich, ob Ihnen das passt oder nicht!«
Ohne sich um die offen stehenden Münder zu kümmern oder um die Kreuze, die geschlagen wurden, schritt Rosanna mit hoch erhobenem Haupt in Richtung Ausgang.
Erst hinter der letzten Biegung von Rombach lieà sie ihren Tränen freien Lauf.
Nach dem Vorfall in der Kirche wuchs nicht nur mein Bauch, sondern auch mein Stolz. Wenn die Rombacher beschlossen hatten, mich zu ächten, dann sollte es eben so sein. Ich brauchte sie nicht! Und ihren verlogenen Pfarrer erst recht nicht.
Simone, die nach dem Geschehen in der Kirche hinter mir hergerannt war, sah das natürlich anders: Ich solle zur Beichte gehen und um die Vergebung meiner Sünden bitten. Wenn ich nur genügend Rosenkränze betete, würde mir auch vergeben werden. »Welche Sünden?«, fragte ich sie. Als sie merkte, dass mit mir in dieser Sache nicht zu reden war, beschloss sie, an meiner Statt für mich zu beten. »Von mir aus«, antwortete ich. »Wennâs dich selig macht!« In jener Zeit wurde mir Simones Geplapper oft zu viel. Deshalb war ich ruppig zu ihr, und dennoch kam sie jeden Mittwoch brav wie ein Hündchen auf den Moritzhof getrottet. Je abweisender ich war, desto mehr bemühte sie sich um mich, zumindest kam es mir so vor. »Sie hat eben niemanden auÃer dir«, sagte Karl. Dass sogar er sie in Schutz nahm, obwohl er sie nicht sonderlich mochte, ärgerte mich. Auch wenn Simone meine Freundin war, so war sie doch ein Teil des Dorflebens. Und ich war es nicht mehr. Ich hatte mein Zuhause hier oben gefunden, das wurde mir in dieser Zeit immer stärker bewusst. Der Moritzhof war nicht mehr nur ein Zufluchtsort.
Etwas war im Umbruch â¦
Sosehr sich der Winter auch an den steilen Berghängen und in den tiefen Wäldern festkrallte â gegen die ersten Sonnenstrahlen im April konnte er nichts ausrichten. Der Wandelmonat machte auch im Jahr 1899 seinem Namen alle Ehre: Wind brachte aus südlicher Richtung die erste Wärme, und binnen weniger Tage schmolz der Schnee an vielen Stellen. Darunter lugte noch müdes Frühlingsgrün hervor. Die Ebene
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