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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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ganzen Weg vom Feldberg bis nach Rombach zurückgelegt hätten. Sie blieben nur eine Nacht, was Mutter nicht gerade gefiel, dann reisten sie weiter. Bis nach Säckingen wollten sie und von dort mit der Bahn zurück. Verrückt, nicht wahr?«
    Rosanna war plötzlich von einer solchen Sehnsucht nach der lauten Wirtsstube und ihren Gästen erfüllt, dass es siekörperlich schmerzte. Wenn ihr überhaupt etwas fehlte, dann waren es die Reisenden mit ihren Geschichten, ihren persönlichen Eigenheiten und Wehwehchen.
    Um sich abzulenken, stand sie auf und ging ans Spülbecken, wo die roten Rüben immer noch darauf warteten, zu einem Eintopf verarbeitet zu werden.
    Â»Und was reden die Leute im Dorf so?«, fragte sie mit einer gezwungen gleichgültigen Stimme.
    Â»Na … Du weißt ja, viel bekomme ich nicht mit.« Simone rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl nach vorn und schaute zur Tür. Vermutlich hätte es ihr jetzt nicht viel ausgemacht, wenn der Großvater erschienen wäre.
    Â»Aber?« Rosanna gab nicht nach.
    Â»Der Pfarrer hat kurz vor Weihnachten eine seltsame Predigt gehalten …«
    Während Rosanna die Rüben zerhackte, lauschte sie mit unbeweglicher Miene Simones Bericht.
    Â»Danach rannte Mutter von Haus zu Haus und erzählte überall herum, du hättest den Gästen ständig schöne Augen gemacht und dass sie dich deshalb hätte entlassen müssen. Eben weil sie eine solche Unzucht unter ihrem Dach nicht dulden wolle.«
    Â»Also, das ist doch …« Rosanna fehlten die Worte.
    Â»Hundsgemein!«, beendete Simone den Satz.
    Â»Hinterhältig. Boshaft. Niederträchtig. Und gelogen!«
    Und weil es einer jener Momente war, in denen man nur entweder lachen oder weinen konnte, brachen beide in heftiges Gelächter aus.
    Rosanna hatte gerade die Suppe fürs Mittagessen aufgesetzt, als Karl Moritz hereinkam. Er und Simone begrüßten sich und wechselten ein paar Worte, doch es war offensichtlich, dass beide auf die Anwesenheit des anderen keinen großen Wert legten. So beschloss Rosanna, Simone das Kinderzimmer zu zeigen. Mit mäßigem Interesse bewunderte das junge Mädchen die Wiege, in der einst Franziska und ihre beiden verstorbenenBrüder gelegen hatten und der Karl Moritz einen frischen Anstrich und Rosanna einen neuen Stoffhimmel verpasst hatten.
    Erst als Simone kurze Zeit später gegangen war, fiel Rosanna auf, dass sich die Freundin überhaupt nicht danach erkundigt hatte, wie es ihr ging. Hatte sie nichts erfahren wollen, sodass sie der Mutter mit ruhigem Gewissen sagen konnte, sie wisse nichts? Oder interessierte Rosannas Zustand sie wirklich nicht?

Der Winter war lang und einsam. Aber es war eine erträgliche Einsamkeit. Statt den Erzählungen der Reisenden im Wirtshaus zu lauschen, las ich nun Bücher. Die Märchen von Wilhelm Hauff, die Abenteuerromane von Karl May, Gedichte von einem Mann namens Eduard Mörike – sie sorgten dafür, dass mir die Abende, an denen Karl nicht im Haus war, nicht lang wurden.
    Jeden Mittwoch kam Simone auf den Hof, geschickt von ihrer Mutter, die auf diesem Weg erfahren wollte, was sich bei uns tat. Ich weiß nicht, was Franziska erwartete: Dass ich ihren alten Vater verführte wie zuvor ihren Sohn? Dass ich ihn verhexte, ihm seine Sinne raubte, ihn mir untertan machte? Bei dem Gedanken an die langweiligen Geschichten, die Simone daheim zu erzählen hatte, musste ich lächeln: Großvater hat im größten Schneegestöber seine Turbine repariert. Der Sturm letzte Woche hat das halbe Dach vom Bienenhaus weggeweht. Rosanna hat aus Dörrpflaumen ein Kompott gekocht, und Großvater hat so viel davon gegessen, dass er die halbe Nacht auf dem Abort verbrachte. Und so weiter.
    Für mich bedeuteten Simones Besuche die einzige Abwechslung. Obwohl sie sich selbst aus Tratsch nichts machte und auch nie viel davon mitbekam, hielt sie, wie sie selbst sagte, mir zuliebe Augen und Ohren offen. Und so erfuhr ich beispielsweise, dass sich ein Uhrmacher in Rombach niedergelassen hatte und noch in diesem Frühjahr ein Geschäft mit Uhren aller Art eröffnen wolle. An wen will er die denn verkaufen?, fragte ich mich. Die Rombacher hatten doch alle Uhren, also blieben nur die Durchreisenden. Ob man von diesem Handel leben konnte? Dass sich der Liederkranz nicht mehr im »Fuchsen« traf – die Gründe dafür wusste

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