Antonias Wille
trocken kräuselte, verliehen ihm einen fast kindlichen Ausdruck. Obwohl man die Frau nicht als ausgesprochen schön hätte bezeichnen können, konnte sich Rosanna vorstellen, dass sie auf Männer durchaus anziehend wirkte â wenn sie gesund war.
»Was hat sie denn?«, wiederholte sie ihre Frage von zuvor.
»Sie ist völlig unterkühlt, der Säugling wahrscheinlich auch. AuÃerdem leidet sie schon seit Tagen an einem heftigen Durchfall. Alexandre sagt, sie könne nicht einmal Wasser bei sich behalten. Haben wir noch von den gedörrten Heidelbeeren?«
Rosanna bejahte, obwohl sie bezweifelte, dass die gegen einen derart starken Durchfall halfen. Karl holte die Dose dennoch aus dem Schrank.
Nachdem Rosanna der Frau eine Tasse Tee eingeflöÃt hatte, schob sie ihr eine Beere nach der anderen in den Mund. Mehr als einmal würgte die Frau, und Rosanna befürchtete, sie würde sich auf der Stelle übergeben, doch dann schluckte sie die runzeligen Beeren doch hinunter. Ihr Atem kam schwach und stockend.
Karls sorgenvoller Blick bestätigte Rosannas schlimmste Befürchtungen: Hier rang ein Mensch um sein Leben.
Was sind das für Leute? Warum ist die Frau in ihremjämmerlichen Zustand nicht in den Händen eines Arztes? Wie und wo ist sie so krank geworden? Was, wenn sie stirbt? Die Fragen hämmerten gegen Rosannas Stirn. Doch statt sie laut zu stellen, sagte sie mit hohler Stimme: »Was ist mit dem Kind? Es hat doch sicher Hunger.«
Karl erwiderte abwesend: »Alexandre sagt, Claudine habe es gestern das letzte Mal gestillt, danach sei keine Milch mehr gekommen.«
»Das sagen Sie erst jetzt? Soll ich etwas Milch warm machen? Ein halber Krug ist noch da â¦Â« Alexandre und Claudine. Wenigstens hatten die Fremden jetzt Namen.
Was, wenn auch das Kind starb? Der Gedanke lieà alles Blut aus Rosannas Kopf weichen. Ihr wurde schwindlig. Unauffällig hielt sie sich an der Tischkante fest, während Moritz ein paar Worte mit dem Kindsvater wechselte, der den Säugling daraufhin wieder Rosanna in den Arm legte.
Das Kind war ebenfalls völlig verschmutzt, sodass Rosanna es erst einmal auszog und mit einem lauwarmen ausgewrungenen Lappen abwusch. Es war ein Mädchen. Sobald es sauber war, holte Rosanna eines der Nachthemden, die sie für ihr eigenes Kind genäht hatte, und zog es dem Säugling an. Danach flöÃte sie ihm die Milch ein, indem sie immer wieder ihren kleinen Finger in die Tasse tauchte und ihn dann an den winzigen Mund des Kindes hielt. Die gierigen Saugbewegungen, die es machte, trieben Rosanna die Tränen in die Augen. Doch sie hatte keine Zeit, sich allzu lange um die Kleine zu kümmern. Die Frau auf der Küchenbank bäumte sich stöhnend auf. Ein fauliger Geruch breitete sich aus.
»Ich muss sie sauber machen!« Rosanna übergab den Säugling samt Milchtasse seinem Vater. Dann ergriff sie die Schnapsflasche. »Ein paar Schlucke davon könnten Ihrem Freund wohl nicht schaden, er ist ja weiÃer als Schnee!«
Resolut schob Rosanna die beiden Männer aus der Küche. In der Tür hielt sie Karl am Ãrmel fest.
»Die Frau ist schwer krank!«, zischte sie mit zugeschnürterKehle. »Jemand muss ins Dorf gehen und den Doktor holen!«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Das geht nicht«, murmelte er. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, der von groÃer Sorge und Nervosität sprach und der Rosannas eigene Angst noch wachsen lieÃ. »Bitte frag jetzt nicht weiter.«
»Das fällt mir aber schwer«, presste sie hervor. Ihre Augen funkelten wütend. »Dann bringen Sie mir wenigstens frische Wäsche für ⦠Claudine! In meinem Schrank finden Sie alles.«
Kurz darauf entledigte sie die Kranke Schicht für Schicht ihrer Kleider. Unter einem dicken Lammfellmantel kam ein einstmals schönes, dunkelgrünes Seidenkleid zum Vorschein, darunter seidene Unterwäsche. Alles war jedoch durch die Exkremente völlig verschmutzt. Der Gestank lieà Rosanna würgen, doch ihr Schrecken über den Zustand der Frau überwog jeden Ekel. Ihre Haut war schrumpelig wie ein Winterapfel â die Frau stand kurz davor auszutrocknen! Panik stieg in Rosanna auf, und am liebsten hätte sie nach Karl gerufen. Stattdessen warf sie eilig die Decke über die nackte Frau und flöÃte ihr eine weitere Tasse Tee ein.
»Sie müssen trinken,
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