Anubis 02 - Horus
sie sich selbst schuldig zu sein schien, und zu einem dünnen Strich zusammengepressten Lippen fuhr sie herum und überquerte mit schnellen Schritten die Straße. Bast musste sich beeilen, um sie in der Dunkelheit der Toreinfahrt nicht aus den Augen zu verlieren.
Unter ihren Stiefelsohlen klapperte nebelfeuchtes Kopfsteinpflaster, und irgendetwas klimperte hörbar, als Faye einen Schlüsselbund aus ihrem Beutel kramte. Selbst für Basts Augen war sie kaum mehr als ein zerfließender Schatten in der Dunkelheit, während sie sich an einer noch dunkleren Tür vor sich zu schaffen machte.
Und war sie wirklich mehr?, fragte sich Bast. Mehr als ein Schatten, der flüchtig im endlosen Strom der Zeit aufblitzte und wieder verschwunden sein würde, noch bevor die Welt ihn auch nur wirklich zur Kenntnis nehmen konnte?
Wahrscheinlich nicht. Nur ein Kind, dem das Schicksal von Anfang an keine Chance eingeräumt hatte, und das vielleicht voller Träume und Illusionen war, aber ohne irgendeine Zukunft. Die Welt würde nicht reicher werden ohne sie … aber auch ganz gewiss nicht ärmer. Da war nichts von Bedeutung in ihr. Nichts außer der warmen, so jungen und gerade deshalb so kräftig brennenden Flamme des Lebens in ihr. Eine Wärme, die sie so dringend brauchte …
Bast presste die Kiefer so fest zusammen, dass ihre Zähne hörbar knirschten und ein heftiger Schmerz durch ihren Schädel schoss, und es half, vielleicht ein allerletztes Mal. Das Ungeheuer zog sich noch einmal zurück, und der Schatten wurde wieder zu Faye. Etwas klackte, und dann verschwand sie in der noch tieferen Dunkelheit jenseits der Tür. Bast ballte die Hände zu Fäusten, aber es gelang ihr zumindest, ihre Kiefermuskeln zu entspannen. Sie schmeckte ihr eigenes Blut, und das bittere Kupferaroma machte sie fast wahnsinnig.
»Einen Moment nur«, drang Fayes Stimme aus der Dunkelheit. »Ich mache Licht.«
In der Dunkelheit hinter der Tür begann ein leises Rascheln und Klappern – Schwefelhölzer in einer Schachtel, wie ihr das Geräusch verriet –, aber auch hinter ihr waren plötzlich Laute … ein Schleichen und Anpirschen, das erneut und diesmal ungleich stärker von dem Gefühl begleitet wurde, angestarrt und belauert zu werden. Etwas kam.
Hinter der Tür flammte ein Streichholz auf und wurde nur einen Augenblick später zum ruhig brennenden Licht einer Petroleumlampe. Der gelbe Schein trieb die Gespenster in die Nacht zurück, und Bast trat mit einem raschen Schritt und gebeugt unter dem niedrigen Türsturz hindurch.
Das Zimmer war winzig, aber geschmackvoll, wenn auch einfach, eingerichtet und sauber. Es gab ein Bett, einen Stuhl und einen winzigen Tisch und den Ofen, von dem Faye gesprochen hatte, und unter dem schmalen Fenster sogar etwas wie eine improvisierte Waschgelegenheit. Es war bitterkalt. Die papierdünnen Wände und das gesprungene Fenster konnten die Kälte nicht wirklich draußen halten. Schon jetzt konnte sie ihren eigenen Atem als grauen Dampf vor ihrem Gesicht erkennen. Im Winter musste es hier drinnen schlichtweg unerträglich sein.
»Setz dich«, sagte Faye, während sie bereits in die Hocke ging, um mithilfe einer zusammengeknüllten Zeitung und einiger Holzspäne den Ofen anzufachen. Sie stellte sich nicht besonders geschickt dabei an, fand Bast. Aber sie sagte nichts dazu, sondern ließ sich auf den niedrigen Hocker sinken und sah sich weiter unverblümt neugierig um. Die einzige andere Sitzgelegenheit, das Bett, wäre bequemer gewesen, aber sie hatte Angst, Faye damit etwas zu signalisieren, was sie ganz bestimmt nicht wollte.
Aber eigentlich wollte sie auch nicht hier sein.
»Der Tee kommt gleich«, sagte Faye. »Ich muss nur noch Wasser holen. Aber bis ich zurück bin, ist das Feuer wahrscheinlich richtig in Gang.«
»Mach dir keine Umstände …«, begann Bast, aber Faye schnitt ihr nur mit einem Kopfschütteln das Wort ab, klaubte einen verbeulten Teekessel von der Ofenplatte und war aus der Tür verschwunden, bevor sie sie wirklich zurückhalten konnte. Bast wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann stand sie rasch auf, ließ sich vor dem Ofen in die Hocke sinken und öffnete die Klappe. Das winzige Flämmchen dahinter drohte allein dadurch beinahe wieder zu erlöschen. Das Feuer war nicht ungeschickt, sondern geradezu dilettantisch aufgeschichtet und würde sich allerhöchstens selbst ersticken, wenn sie nichts tat. Bast fragte sich kopfschüttelnd, wie sie eigentlich den letzten Winter
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