Anubis 02 - Horus
überall hoch angesehen und für seine Großzügigkeit bekannt. Ein richtiger Gentleman, und ein echter Mann. Muss er wohl gewesen sein – immerhin hat er meine Mutter fast jede Nacht in sein Schlafzimmer geholt … wenigstens, bis ich zwölf war. Danach hat er immer mehr Geschmack an ihrer Tochter gefunden.«
»Das tut mir leid«, sagte Bast.
Sie meinte das ehrlich, aber Fayes Blick wurde eher noch verächtlicher. »Ach, tut es das?«, fragte sie böse. »Mir nicht. Ich habe jedenfalls schnell gelernt, wie das Leben so ist.«
»Und dann bist du hierhergekommen?«
»Warum nicht?«, schnaubte Faye verächtlich. »Wo ist der Unterschied? Früher hab ich die Beine nur für einen alten Bock breitgemacht und dafür Essen und ein winziges Zimmer bekommen, und manchmal sogar einen Penny, wenn er ganz besonders gute Laune hatte. Heute verdiene ich gutes Geld, und keiner macht mir Vorschriften.«
»Schon gut«, antwortete Bast. »Ich wollte dir keine Vorwürfe machen.«
»Die stehen dir auch nicht zu«, sagte Faye ernst, aber nicht mehr wirklich feindselig. Ihr Zorn verrauchte so schnell wie ein plötzlich aufgeflammter Schmerz, der ebenso rasch wieder erloschen war, und ihre Schultern sanken kraftlos nach vorne. »Entschuldige.«
»Da gibt es nichts zu entschuldigen«, antwortete Bast sanft. »Im Gegenteil. Ich muss mich entschuldigen. Du hast recht. Es steht mir nicht zu, über dich oder irgendjemanden hier zu urteilen.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Wahrscheinlich war ich nur enttäuscht.«
»Wegen Patsy?« Faye nickte, trank einen Schluck von ihrem Bier und schob den Krug dann mit angewidertem Gesicht demonstrativ von sich. »Euer Gespräch ist nicht so gelaufen, wie du gehofft hast, wie?«
»Nicht unbedingt«, gestand Bast. »Wie gesagt: Sie ist manchmal ein bisschen stur.« Sie machte eine Kopfbewegung auf Fayes Krug. »Möchtest du ein frisches.’«
»Wenn ich das wollte, würde ich es nicht hier bestellen«, antwortete Faye ernsthaft. »Bisher konnte es keiner beweisen, aber es geht das Gerücht, dass Red in seine Fässer pinkelt, um das Bier zu strecken. Keine Ahnung, ob es stimmt, aber das schmeckt jedenfalls so.«
»Wir können woanders hingehen«, schlug Bast vor.
»Hier, in dieser Gegend?« Faye lachte leise. »Du bist wirklich fremd hier. Außer dem Ten Bells hat nichts mehr auf. Jedenfalls nichts, was du kennen möchtest.«
Sie schien auf Widerspruch zu warten. Als er nicht kam, zuckte sie nur mit den Schultern und begann mit ihrem Krug zu spielen. »Außerdem habe ich schon genug getrunken. Die Kerle mögen es nicht, wenn dein Atem nach Bier oder Schnaps stinkt.«
Bast sah sich demonstrativ zweifelnd um, und Faye schüttelte heftig den Kopf. »Doch nicht die hier. Von denen würd ich keinen mit der Kneifzange anfassen.«
»Nicht deine Preisklasse?«, vermutete Bast.
»Ich nicht ihre«, antwortete Faye. »Unter einer Guinee rührt mich keiner an. Und selbst dafür gibt’s noch lange nicht alles.«
Bast bezweifelte, dass die meisten von denen, die sich momentan hier drinnen aufhielten, so viel in der Woche verdienten. »Hier?«, fragte sie.
»Du würdest dich wundern, wie viele feine Herrschaften sich in diese Gegend verirren, sobald die Sonne untergegangen ist. Musst dir nur mal die Kutschen ansehen, die hier manchmal stehen. Bei denen kriegen manchmal die Pferde besseres Essen als wir. Ich kenne eine Menge von ihnen.«
»Pferde?«
»Die feinen Herren aus den Kutschen. Manche sind gar nicht mal so übel. Nicht alle, aber manche. Einer hat mich sogar einmal mit in sein Haus genommen. Ein richtiger Palast. Hat mir angeboten, ganz bei ihm zu bleiben, aber ich wollte nicht … obwohl es wirklich ein richtiger Palast war.«
Aus dem Munde jeder anderen hätte diese Behauptung einfach nur angeberisch geklungen, aber Bast glaubte ihr. Fayes Kleider waren so provozierend und schäbig wie die der anderen, ihre Schminke entschieden zu aufdringlich und ihre Frisur nichts anderes als billig – aber sie hatte etwas Kindliches, das selbst jetzt, müde und verschreckt wie sie war, durch all das hindurchschimmerte.
Aber wie lange noch?
»Wie alt bist du?«, fragte sie.
»Zwanzig«, behauptete Faye. »Warum?«
»Sechzehn«, vermutete Bast. »Habe ich recht?«
»Aber nur noch zwei Wochen, dann werde ich zwanzig.«
»Und das die nächsten drei Jahre lang.«
»Mindestens fünf«, verbesserte sie Faye. »Wahrscheinlich sogar mehr.«
»Und dann?«, fragte Bast, zwar lachend, aber trotzdem nun
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