Anubis 02 - Horus
auffordernd mit seiner Lampe, machte einen einzelnen Schritt und blieb dann wieder stehen. »Jones! Wo bleiben Sie?«
Jones antwortete nicht, aber hinter ihnen raschelte es leise, und Abberline zog eine ärgerliche Grimasse und trat an Bast vorbei wieder in die Bahnhofshalle hinaus. »Jones, verdammt!«
Bast folgte ihm. Jones befand sich irgendwo links, außerhalb des Lichtes. Selbst sie konnte ihn nur als verschwommenen Schatten wahrnehmen. Er bewegte sich langsam und halb gebückt, als würde er etwas suchen.
»Sir? Ich glaube, hier … ist etwas.«
Abberline sah nicht so aus, als wäre er sonderlich begeistert über den plötzlichen Diensteifer des Constablers, schwenkte aber gehorsam seine Lampe herum und folgte ihm. Jones war mittlerweile stehen geblieben und blickte konzentriert auf irgendetwas auf dem schuttbedeckten Boden vor sich hinab. Abberline murmelte irgendetwas, das sich noch weniger begeistert anhörte, trat aber trotzdem neben ihn und senkte die Lampe. Der Lichtstrahl huschte den kurzen Weg zurück, den er ihm vorausgeeilt war und brach sich blitzend auf etwas Dunklem und Nassem. Abberline sog hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein, und auch Bast fuhr erschrocken zusammen. Das bleiche Licht löschte alle Farben aus und gab den Dingen eine Bedeutung, die sie nicht hatten, aber der Geruch war unverkennbar.
»Das ist Blut«, murmelte Abberline, nachdem er sich in die Hocke gelassen und den verschmierten Fleck behutsam mit der Fingerspitze berührt hatte.
»Menschliches Blut«, fügte Bast leise hinzu. Abberline schrak zusammen und warf ihr einen raschen, unsicheren Blick zu, und Bast erteilte sich selbst in Gedanken einen scharfen Verweis. Sie hatte das nicht laut aussprechen wollen. Ihre Hand tastete fast ohne ihr Zutun nach dem Schwert in ihrem Gürtel, und Abberlines Blick wurde noch besorgter, da ihm diese Bewegung natürlich keineswegs entging. Bast gebot ihm jedoch mit einer raschen Geste, still zu sein, schloss die Augen und lauschte mit allen Sinnen. Das Einzige, was sie hörte, waren Jones’ und Abberlines Atemzüge und das dumpfe Hämmern ihres eigenen Herzschlages, und das einzige Leben, das sie spürte, gehörte ebenfalls diesen beiden. Und dennoch … etwas war da. Es war die ganze Zeit über da gewesen, eine Präsenz, unglaublich fremd und vertraut zugleich und wie etwas Unsichtbares und Riesiges, das lautlos in der Dunkelheit hockte und sie belauerte, und ein Gefühl, das sie nur zu gut kannte: das Gefühl, Beute zu sein.
»Sie haben recht, Inspektor«, sagte sie. »Verschwinden wir von hier.«
Abberline stand zwar auf, bewegte sich im ersten Moment jedoch nicht von der Stelle, sondern schwenkte nur seine Lampe herum, bis das Licht einen zweiten, verschmierten schwarzen Fleck auf dem Staub und eingetrocknetem Schmutz auf dem Boden ertastete, dann einen dritten und vierten.
Die Blutspur war nicht so breit und frisch wie die, der sie vorhin gefolgt waren, und Bast musste auch nicht davon kosten, um zu wissen, dass es jetzt nicht mehr Sobeks Blut war, aber es war ganz eindeutig menschliches Blut, und es war noch nicht lange genug hier, um eingetrocknet zu sein. Welches Drama sich auch immer hier abgespielt hatte, es konnte allerhöchstem einige Minuten zurückliegen. Aber wieso spürte sie nichts?
»Wir sollten besser gehen, Inspektor«, sagte sie noch einmal und erschrak beinahe selbst über den unüberhörbaren Unterton von Furcht in ihrer Stimme.
Abberline wandte zwar den Kopf und maß sie mit einem gleichermaßen nachdenklichen wie misstrauischen Blick, machte aber keineswegs kehrt, sondern begann ganz im Gegenteil der unterbrochenen Blutspur zu folgen. »Ich glaube, ich habe es schon mehrmals gesagt, aber ich wiederhole mich gern«, sagte er mit einer Betonung, die beinahe noch sonderbarer war als sein Blick. Von der fast ausgelassenen Erleichterung, die sie gerade bei der Treppe in ihm gefühlt hatte, war nichts mehr geblieben. »Falls Sie mir irgendetwas zu sagen haben, wäre jetzt vielleicht der richtige Moment.« Gleichzeitig griff er mit der freien Hand in die Jackentasche, um seinen Revolver zu ziehen. Das helle Klicken, mit dem er den Hahn zurückzog, schien in der Dunkelheit unnatürlich lang widerzuhallen, und es brachte noch ein anderes, falsches Geräusch mit sich.
»Jetzt ist wahrscheinlich der falscheste Moment überhaupt«, sagte Bast ernst. Begriff er denn nicht, dass sie ganz und gar nicht zufällig hier waren? »Das Ganze könnte eine Falle sein.«
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