Anubis 02 - Horus
anderen?«
Diesmal antwortete Maistowe nicht mehr, aber Mrs Walsh sagte: »Jacob und ich haben sie in ein leeres Zimmer geschafft. Es war das Schrecklichste, was ich jemals tun musste.« Sie lächelte gequält. »In meinem eigenen Haus.«
Maistowe sah sie irritiert an, und Mrs Walshs schiefes Grinsen erlosch wie abgeschaltet.
»Dann müssen wir die Toten wegschaffen, bevor Sie das Haus verlassen«, sagte Bast hastig. »Ich werde das übernehmen, sobald es wieder dunkel geworden ist.«
»Das wird nicht nötig sein.« Maistowe stand mit einem Ruck auf und trat ans Fenster, um in die lichter werdende Dämmerung hinauszuschauen. »Ich werde meinen Männern Bescheid geben. Wir gehen eben mit ein bisschen mehr Gepäck an Bord, als wir ursprünglich geplant haben.«
»Ihre Männer?« Bast blinzelte. »Ich dachte, die Lady of the Mist wäre ein Handelsschiff, kein Piratensegler.«
»Manchmal ist der Unterschied gar nicht so groß, wie die Leute meinen«, antwortete Maistowe. »Machen Sie sich keine Sorgen. Meine Männer sind zuverlässig, und sie stellen keine Fragen. Worüber ich mir Sorgen mache, ist etwas ganz anderes.« Er drehte sich herum, lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen das Fensterbrett und sah sie nun doch an, als gäbe ihm die Entfernung mehr Sicherheit. »Frederick Abberline.«
»Der Inspektor?« Bast runzelte die Stirn. »Sie glauben nicht, dass er etwas mit …«
»Natürlich nicht«, unterbrach sie Maistowe hastig. »Aber diese Wache dort draußen ist nicht hier, um uns vor Einbrechern zu beschützen. Dieser Monro hat garantiert etwas vor, das mir ganz und gar nicht gefällt. Ich würde Frederick ja um Hilfe bitten, aber ich bin nicht sicher, wie weit er uns überhaupt helfen kann.«
»Ich verstehe«, sagte Bast. »Er ist Ihr Freund, aber er ist auch Polizist.«
»Und ein sehr gewissenhafter«, fügte Maistowe hinzu. »Das Mindeste, was passieren würde, wäre wohl, dass sich unsere Abreise verzögert. Und ich möchte ihn auch nicht noch weiter in diese unangenehme Geschichte hineinziehen, als es ohnehin schon der Fall ist.«
Unangenehme Geschichte, dachte Bast, war sehr schmeichelhaft ausgedrückt. Aber sie verstand, was Maistowe meinte. »Dann sollten Sie hoffen, dass er heute genug anderes zu tun hat und nicht auf die Idee kommt, Ihnen einen Abschiedsbesuch abzustatten. Weiß er, dass Sie Ihre Abreise vorverlegt haben?« Maistowe nickte. »Dann wird er wohl kommen, fürchte ich.«
»Ich vertraue Frederick«, wiederholte Maistowe. »Es ist Monro, der mir Sorge bereitet. Wenn er auch nur ahnt, dass wir von seinen schmutzigen Geschäften mit Ihren Freunden wissen …«
Oder gar die Toten findet, fügte Bast in Gedanken hinzu. Sie verstand Maistowes Sorge nur zu gut. Sie hielt Monro nicht in dem Maße für gewissenlos und niederträchtig, wie Maistowe es zu tun schien, aber er hatte gewiss eine Menge zu verlieren, und sie vermutete, dass er nicht besonders wählerisch sein würde, wenn es darum ging, einen Sündenbock zu finden, den er der Öffentlichkeit präsentieren konnte.
»Ich könnte mit Monro sprechen«, schlug sie vor.
»Auf Ihre ganz spezielle Art, vermute ich?« Mrs Walsh schüttelte heftig und beinahe empört den Kopf. »Wozu sollte das gut sein?«
Sie hatte ja recht, dachte Bast. Natürlich könnte sie dafür sorgen, dass Monro jegliches Interesse an ihr, Mrs Walsh und Kapitän Maistowe verlor … für eine Weile. Aber sie konnte nicht jeden ausfindig machen, mit dem er bereits über diesen Fall gesprochen hatte, und da war schließlich noch immer Horus, der kaum tatenlos zusehen würden, auch wenn sie alle Spuren ihrer Anwesenheit verwischte.
Sie überlegte – oder redete sich zumindest ein, es zu tun, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sie ihren Entschluss schon längst gefasst hatte. »Also gut«, seufzte sie. »Ich werde ihn suchen und mit ihm reden.«
»Wen?«, fragte Mrs Walsh misstrauisch.
»Horus«, antwortete Bast. »Einen der beiden Männer, von denen Abberline gestern gesprochen hat. Sie erinnern sich?«
»Ich erinnere mich vor allem, dass Sie behauptet haben, sie wären tot«, sagte Mrs Walsh.
»Diese Annahme war vielleicht ein wenig vorschnell«, antwortete Bast. »Sobek ist tot, aber Horus ist noch am Leben. Die Situation ist zu kompliziert, um sie in allen Einzelheiten zu erklären, aber ich hoffe, dass er bereit ist, das Land zu verlassen, wenn ich ihm sage, dass ich bereit bin, zu kapitulieren.« Und Isis niemals wieder zu sehen.
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