Anubis 02 - Horus
Sache der Welt. Warum sonst gäbe es Männer und Frauen?«
»Nicht aus diesem Grund!«, sagte Mrs Walsh. Sie schrie fast. »Gott hat Mann und Frau erschaffen, damit sie sich fortpflanzen und Kinder zeugen, nicht um der Fleischeslust zu frönen! Sie sprechen wie diese verdorbenen Frauen, mit denen sich Jacob manchmal trifft! Er ist ein Mann und weiß es nicht besser. Aber Sie? Sie sind eine Frau, ganz egal, was Sie außerdem noch sein mögen, und wie alt Sie angeblich sind! Sie sollten wissen, wie sich eine Frau von Anstand und Sitte zu benehmen hat! Gottes Wort ist in dieser Hinsicht sehr eindeutig!«
»Gottes Wort – oder das, was Menschen in seinem Namen dafür ausgeben?«, fragte Bast. Eine innere Stimme warnte sie, nicht weiterzusprechen, aber Mrs Walshs Bigotterie ärgerte sie. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Ich kenne Ihren Gott nicht, aber ich habe den Mann gekannt, den Sie Jesus von Nazareth nennen, und ich kann Ihnen versichern, dass er in dieser Hinsicht vollkommen anderer Meinung war.«
Mrs Walsh starrte sie an. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, aber sie sagte nichts mehr, sondern wandte sich nach einer Weile wortlos und mit einer unendlich müde wirkenden Bewegung um und verließ das Zimmer.
Bast blieb tatsächlich noch eine geraume Weile oben in ihrem Zimmer – nicht weil sie sich wirklich noch schwach gefühlt hätte, oder sich gar noch schonen musste, wie Mrs Walsh anzunehmen schien, sondern weil es ihr im Moment einfach unangenehm gewesen wäre, Mrs Walsh unter die Augen zu treten. Sie war sich ja so klug vorgekommen bei ihrem letzten Satz; ein Totschlag-Argument, gegen das Mrs Walsh absolut nichts mehr einwenden konnte … aber das genaue Gegenteil war der Fall gewesen. Vielleicht nur eine Winzigkeit, aber eben doch zu spät, hatte sie begriffen, dass sie wahrscheinlich gar nichts Schlimmeres hätte sagen können. Selbstverständlich wusste Mrs Walsh tief in sich, dass sie recht hatte, aber sie selbst hätte es verdammt noch mal besser wissen müssen! Tief in sich drinnen war Gloria Walsh eine Fanatikerin, eine Rolle, in die sie hineingeboren und -erzogen worden war und für die sie absolut nichts konnte, und was konnte man einem Fanatiker Schlimmeres antun, als ihm zu beweisen, dass alles, woran er glaubte, falsch war?
Sie hätte es wirklich besser wissen müssen! Aber nun war der Fehler einmal gemacht, und sie war es leid, einmal Gesagtes wieder zurückzunehmen. Außerdem würde sie dies später ohnehin alles auf einmal bereinigen …
Eine gute halbe Stunde lang lag sie noch reglos auf dem Bett, starrte die Decke über ihrem Kopf an und haderte mit dem Schicksal, bevor sie es schließlich aufgab und aus dem Bett stieg, um sich anzuziehen. Sie trat ans Fenster, um auf die Straße hinunterzusehen. Es war immer noch nicht richtig hell geworden, obwohl die Dämmerung längst vorüber sein musste. Über der ganzen Stadt schien eine dunstige graue Glocke zu liegen, die das Tageslicht nicht wirklich absorbierte, ihm aber irgendetwas zu nehmen schien, sodass es zwar möglich, aber auf eine sonderbare Weise unangenehm war, richtig zu sehen.
Dennoch erkannte sie natürlich den Bobby, der frierend auf der anderen Straßenseite stand und so tat, als würde er aufmerksam das Haus beobachten. Es war nicht derselbe wie gestern – in diesem Punkt hatte Maistowe die Wahrheit gesagt –, sondern ein jüngerer und deutlich größerer Mann, dessen Unmut über diesen ebenso unangenehmen wie langweiligen Auftrag sie selbst über die Entfernung hinweg zu spüren glaubte. Er war womöglich noch unaufmerksamer als sein Kollege von gestern, und Rast machte sich keine Sorgen darüber, ungesehen an ihm vorbeizukommen, sollte es nötig sein. Worüber sie sich Sorgen machte war der Umstand, dass er überhaupt da war. Warum ließ Monro – oder Abberline – das Haus beobachten? Und wen eigentlich? Mrs Walsh, Maistowe oder sie? Bast war sich mit einem Male gar nicht mehr so sicher, dass es tatsächlich nur darum ging, einen Sündenbock für irgendetwas zu haben …
Sie schüttelte den Gedanken ab – der Kerl da unten war nicht einmal der Schatten einer Gefahr, und in ein paar Stunden spielte es auch überhaupt keine Rolle mehr, warum er da war oder wer ihn geschickt hatte – und trat an ihren Koffer heran, um sich ein frisches Kleid zu nehmen – wie sich zeigte, das letzte, das sie überhaupt noch besaß. Also gut, das vereinfachte ihre Rückreise. Sie war jetzt nur noch mit kleinem Gepäck
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