Anubis 02 - Horus
amüsierten Funkeln in seinen Augen, dass er ihre Reaktion nicht nur vorausgesehen, sondern sich regelrecht darauf gefreut hatte.
»Du würdest … wirklich bei Mrs Walsh bleiben?«, fragte sie zögernd.
Cindy reagierte gar nicht, aber Mrs Walsh setzte ein übertrieben verletztes Gesicht auf und fragte: »Was ist daran so erstaunlich, um Ihren Ton zu rechtfertigen, mein Kind? Trauen Sie mir vielleicht nicht zu, mich um ein Kind zu kümmern?«
»Natürlich nicht«, antwortete Bast und verbesserte sich hastig. »Ich meine: Selbstverständlich traue ich Ihnen zu, sich um die Erziehung eines Kindes zu kümmern. Ich war nur … überrascht, das ist alles.«
»Überrascht?«
»Nach unserem Gespräch gerade, und dem, was Sie über Faye gesagt haben …«
»Und an meiner Meinung hat sich seither kein Jota geändert«, antwortete Mrs Walsh wie aus der Pistole geschossen. »Umso wichtiger, dass Cindy eine anständige christliche Erziehung genießt. Ich weiß, Sie sind vielleicht der Meinung, ich wäre zu alt, um mir eine solch verantwortungsvolle Aufgabe zu übertragen, doch ich traue mir durchaus zu, mich um dieses arme gestrauchelte Wesen zu kümmern und sie zu einer gottesfürchtigen jungen Frau zu erziehen.«
Cindy, die so saß, dass Mrs Walsh ihr Gesicht zumindest nicht sehen konnte, ohne den Kopf zu wenden, verdrehte die Augen, und Bast musste sich beherrschen, um nicht in ähnlicher Form zu reagieren.
»Und was sagst du dazu?«, wandte sie sich direkt an Cindy.
»Warum nicht?« Das Mädchen hob trotzig die Schultern. »Klingt besser als Vater McNeill.«
»Und Faye?«
»Faye hat uns verraten«, sagte Cindy heftig.
»Das steht noch gar nicht fest«, antwortete Bast. »Und wenn, dann hat Roy sie wahrscheinlich gezwungen.«
»Und wenn sie wieder einer zwingt? Außerdem kann ich sie nicht leiden.«
»Du kennst sie doch gar nicht.«
»Ich kenn sie gut genug«, antwortete Cindy.
Das war nicht das, was sie meinte, das spürte Bast. Cindy sagte die Wahrheit: Sie war tatsächlich bereit, bei Mrs Walsh und Maistowe zu bleiben, aber aus einem anderen Grund. Sie wusste nur nicht, aus welchem.
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn Cindy und ich …?«
»Allein miteinander reden?« Mrs Walsh schüttelte den Kopf. »Selbstverständlich nicht. Kommen Sie, Jacob.« Sie stand auf. »Mir ist gerade eingefallen, dass ich vielleicht doch nicht alles Gepäck für die Reise zusammen habe.«
Bast lächelte ihr dankbar zu und geduldete sich, bis Maistowe und Mrs Walsh den Raum verlassen hatten. Dann aber erlosch ihr Lächeln schlagartig. »Also, was soll das?«, fragte sie.
»Was soll was?«
»Stell dich nicht dumm«, fauchte Bast. »Und behandele mich nicht, als wäre ich dumm. Was ist los? Gestern hättest du mir noch am liebsten die Augen ausgekratzt, weil ich dich hierher gebracht habe, und heute erklärst du mir, du willst hierbleiben?«
»Nicht hier«, antwortete Cindy. »Wir gehen weg. Heute noch.«
»Ich verstehe«, sagte Bast. »Du denkst an das Schiff. Eine große Reise, und ein noch größeres Abenteuer, wie? Aber ganz so ist es nicht. Die Lady ist ein heruntergekommener alter Kahn, und ich fürchte, was Mrs Walsh gesagt hat, war ernst gemeint. Sie wird dich wirklich zu einem gottesfürchtigen jungen Mädchen erziehen … oder es wenigstens versuchen.«
Cindy grinste nur, und Bast musste sich plötzlich beherrschen, um nicht dasselbe zu tun. Vielleicht hatte Cindy ja sogar recht, und das hier war die bessere Lösung. Selbstverständlich war es Mrs Walsh bitterernst mit ihrem Vorsatz, ihr eine anständige Erziehung angedeihen zu lassen und sie zu einer gottgefälligen jungen Frau zu machen, aber sie machte sich keine allzu großen Sorgen, dass ihr das auch tatsächlich gelingen könnte. Cindy war nicht annähernd so verdorben, wie Mrs Walsh noch gestern behauptet hatte, aber sie war auch kein kleines Kind mehr, das Mrs Walsh nach Belieben formen und mit ihren kruden Ideen von Sittsamkeit und einem Leben nach Gottes Willen vollstopfen konnte. Mrs Walsh würde sich an ihr die wenigen Zähne ausbeißen, die sie noch hatte, daran bestand kein Zweifel – aber sie würde ihr trotzdem helfen, wieder in ein halbwegs normales Leben zurückzufinden … oder wenigstens ein anderes Leben als das, das ihr hier bevorstand. Es war nicht so, dass sie Faye nicht traute, im Gegenteil – aber ein Leben an Bord der Lady irgendwo auf dem Meer oder auch in einem fremden Land war vermutlich sicherer als eines in Fayes Umgebung, wo
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