Anubis 02 - Horus
entfuhr es Cindy. Das brachte ihr einen strafenden Blick Mrs Walshs ein, zu Basts Überraschung jedoch keinen dazu passenden Kommentar.
»Er ist ein alter Freund«, sagte sie, »und der Anstand gebietet es, dass man sich von seinen Freunden verabschiedet, wenn man auf Reisen geht, mein Kind. Ich bin nicht ganz sicher, ob du weißt, was dieses Wort bedeutet, aber wenn wir uns erst ein wenig besser kennen, dann wirst du es sicher lernen.«
Cindy verdrehte die Augen, und Mrs Walsh fuhr, nun direkt an Bast gewandt, fort: »Außerdem verfügt Vater MacNeill über eine wohl sortierte Kleiderkammer, in der wir bestimmt das eine oder andere passende Teil für sie finden. Mitglieder seiner Gemeinde geben dort Kleider ab, aus denen sie herausgewachsen sind oder die sie aus dem einen oder anderen Grund nicht mehr brauchen.«
»Ich soll gebrauchte Kleider tragen?«, ächzte Cindy.
»Daran ist nichts auszusetzen«, sagte Bast rasch. »Ich bin sicher, sie sind sauber und in gutem Zustand.«
»Selbstverständlich«, sagte Mrs Walsh in einem Ton, als wäre allein die Vermutung, es könne anders sein, schon eine Beleidigung. »Überdies verlangt Vater MacNeill nur eine kleine Spende, wenn man sich aus seiner Kleiderkammer bedient – wenn überhaupt etwas. Ich bin keine reiche Frau.«
Cindy wollte erneut widersprechen, aber diesmal kam ihr Maistowe zuvor. »Sobald wir an unserem Ziel angekommen sind, kaufe ich dir das schönste Kleid, das wir finden«, versprach er. »Aber für die Reise wäre das keine gute Idee. Ein Schiff ist kein sehr sauberer Ort.«
Bast dachte an die winzige, schmuddelige Kabine an Bord der Lady of the Mist, in der sie die Reise hierher hinter sich gebracht hatte, und gab ihm in Gedanken recht. Sie stand auf. »Ich begleite Sie.«
»Aber das ist doch nicht nötig!«, wehrte Mrs Walsh ab. »Es sind nur zwei Straßen, und es ist helllichter Tag. Bleiben Sie ruhig und ruhen Sie sich noch etwas aus. Außerdem ist es mir ganz lieb, wenn jemand Jacob Gesellschaft leistet – und auf ihn aufpasst, damit er nicht etwa Dummheiten macht.«
»Dummheiten?«, fragte Maistowe.
»Versuchen Sie gar nicht erst, es zu leugnen, Jacob«, sagte Mrs Walsh streng. »Ich sehe Ihnen doch an, dass Sie meine Abwesenheit gar nicht abwarten können, um sich eine Ihrer schrecklich stinkenden Zigarren anzuzünden.«
»So etwas würde ich nie tun!«, antwortete Maistowe mit dem treuesten Gesicht der Welt. Mrs Walsh bedachte ihn nur mit einem noch strengeren Stirnrunzeln, schüttelte dann fast resignierend den Kopf und gab Cindy einen Wink, ihr zu folgen. Cindy gehorchte schweigend; allerdings erst, nachdem sie einen fragenden Blick mit Bast getauscht und diese fast unmerklich genickt hatte.
Kapitän Maistowe wartete immerhin, bis die beiden das Haus verlassen hatten, ehe er sich ein Zigarillo anzündete und einen tiefen, genießerischen Zug nahm.
»Sie sind ziemlich verwegen«, sagte Bast lächelnd. »Gloria wird Ihnen den Kopf abreißen.«
»Vermutlich«, bestätigte Maistowe, während er sein Streichholz auswedelte und zielsicher wie üblich zwei Fuß neben den Kamin schnippte. »Aber uns bleibt ja Zeit genug, das Zimmer zu lüften.«
Bast lächelte zwar weiter, aber ihr Blick wurde ernst. »Sie wissen, dass Sie wahrscheinlich nicht zurückkehren werden«, sagte sie.
»Das … ist möglich«, sagte Maistowe zögernd. »Aber wäre das so schlimm?«
»Sie glauben, Gloria würde all das hier aufgeben?«, fragte Bast. »Es ist alles, was sie hat.«
»Ich weiß«, antwortete Maistowe. »Aber ich bin nicht so unvermögend, wie Gloria glaubt. Ich besitze ein kleines Haus in der Nähe Kairos und verfüge auch über einige Ersparnisse. Ich bin kein reicher Mann, aber wenn ich die Lady verkaufe und wir nicht mehr als einen normalen Lebenswandel pflegen, dürfte es für einen geruhsamen Lebensabend zu zweit ausreichen.«
»Sie würden Ihr Schiff aufgeben?«, fragte Bast überrascht.
»Warum nicht?« Maistowe setzte sich, nahm Cindys ersten Zug zurück und eröffnete das Spiel unkonventionell mit seinem rechten Springer. Er war entweder ein ganz besonders talentierter, oder ein ganz außergewöhnlich miserabler Schachspieler, dachte Bast. »Um ehrlich zu sein, habe ich schon mehrmals daran gedacht, mich zur Ruhe zu setzen. Und in letzter Zeit immer häufiger. Ich wusste nur nie, wie ich … Gloria dazu bringen konnte, mich zu begleiten.« Er lächelte. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Ihnen zu großem Dank verpflichtet
Weitere Kostenlose Bücher