Anubis 02 - Horus
stehen, und wir bringen es hinter uns!«
Sie rechnete nicht mit einer Antwort, und sie bekam auch keine, aber das Echo ihrer eigenen Stimme verriet ihr alles, was sie wissen musste: Die Treppe folgte offenbar der inneren Krümmung der Kuppel und schien sich über ihr weit höher zu erheben als die. die sie zur Galerie hinaufgeführt hatte, vielleicht tatsächlich bis unter den Scheitelpunkt der Kuppel. Wo, zum Teufel, wollte er eigentlich hin?
Die Blutspur wurde immer dünner und hörte schließlich ganz auf, und die Treppe schien kein Ende zu nehmen, während sie sich wie ein steinernes Schneckenhaus weiter und weiter in die Höhe wand. Sie spürte, dass sie Horus näher kam, wenn auch nicht annähernd so schnell, wie sie es gehofft hatte.
Und schließlich endete die Spur, und nur einen Moment später erlosch auch seine Witterung.
Bast blieb stehen. Natürlich war ihr klar, dass Horus noch immer dort oben war, aber es ärgerte sie ungemein, dass er offensichtlich nicht nur imstande war, seine Gedanken vollkommen vor ihr abzublocken, sondern auch alle ihre anderen Sinne zu narren. Sie hätte ihn zumindest hören müssen!
Falls er noch am Leben war, hieß das.
Bast erwog diesen Gedanken einen Moment lang, verwarf ihn aber auch gleich darauf wieder. Horus war zweifellos schwer verletzt, aber alles, was ihn nicht sofort umbrachte, brachte ihn gar nicht um. So einfach war das.
Hundert mühsame steile Stufen später fand sie eine mögliche Antwort auf ihre Fragen: Der Treppenschacht mündete auf einem schmalen Absatz, dessen gegenüber liegende Seite von einer – ver schlossenen – Tür begrenzt wurde, aber zur Rechten gab es einen schmalen Durchgang, der auf eine weitere, außen liegende Galerie führte. Eisige Luft, die nach Schnee roch, wehte ihr entgegen. Wenn Horus dort draußen war, dann musste sie sich nicht wundern, dass sie seine Witterung verloren hatte.
Sie hatte schon wieder ein Problem: Möglicherweise war Horus dort draußen, möglicherweise auch nicht. Von Abberline wusste sie, dass sich hinter dieser Tür eine Treppe befand, die noch weiter nach oben und zu einer zweiten, außen an der Kuppel verlaufenden Galerie führte. Horus konnte ebenso gut dort oben wie auf der Galerie sein. Was immer sie tat, sie harte eine Eins-zu-eins-Chance, dass es das Falsche war und Horus ihr entkam, während sie der falschen Spur nachjagte.
Bast überlegte einen Moment angestrengt, was sie tun würde, wäre die Situation umgekehrt und sie das Wild und Horus der Jäger, kam zu einem Ergebnis und tat dann das genaue Gegenteil: Sie ignorierte die Galerie, ging weiter und öffnete die Tür, auch dieses Mal wieder sehr vorsichtig.
Was sie nicht vor dem Schwerthieb bewahrte, mit dem Horus sie empfing.
Sie war nicht gänzlich unvorbereitet, und Horus nicht im Vollbesitz seiner Kräfte, sodass es ihr gelang, ihre Waffe im letzten Moment hochzureißen und den Hieb abzufangen, aber er hatte alle Kraft, die er noch besaß, in diesen einen Angriff gelegt, und seine schiere Wucht reichte, ihr das Schwert aus der Hand zu prellen und sie hilflos nach hinten stolpern zu lassen. Mit verzweifelt rudernden Armen kämpfte sie um ihr Gleichgewicht, und Horus setzte ihr nach und versetzte ihr einen Tritt, der sie noch weiter nach hinten stolpern ließ, bis ihr Fuß plötzlich ins Leere stieß. Mit einem erschrockenen Keuchen kippte sie nach hinten, stürzte rücklings die Treppe hinunter und schlug mit so grausamer Wucht auf den steinernen Stufen auf, dass ihr übel wurde.
Trotzdem verlor sie nicht das Bewusstsein. Alles drehte sich um sie, und plötzlich war der Geschmack ihre eigenen Blutes in ihrem Mund, aber sie sah dennoch, wie Horus ihr abermals nachsetzte und das Schwert mit beiden Händen hoch über den Kopf riss.
Verzweifelt warf sie sich herum, zerrte Abberlines Revolver unter dem Mantel hervor und schoss.
Die erste Kugel verfehlte Horus und grub eine armlange Narbe in den Verputz der Wand, die zweite traf seine Schulter und riss ihn wie ein Faustschlag herum. Horus keuchte vor Schmerz, torkelte zurück und fiel seinerseits auf den Rücken, halb auf dem Treppenabsatz, halb auf den Stufen liegend.
Bast kämpfte mir aller Willenskraft gegen den hämmernden Schmerz in ihrem Schädel und die roten Schlieren vor ihren Augen, die die Welt verschlingen wollten. Den Kampf gegen die blutigen Nebel gewann sie, den gegen das Hämmern in ihrem Hinterkopf nicht, aber das spielte keine Rolle. Mühsam und ununterbrochen blinzelnd
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