Anubis 02 - Horus
Grinsen war wieder auf sein Gesicht zurückgekehrt, ohne jenen anderen, schlimmeren Ausdruck verscheucht zu haben.
»Wo wir gerade über meinen Stuhl sprechen«, griente er, »ich bin da wirklich sehr eigen. Ist ’ne richtige Marotte von mir. Aber wenn ich’s mir genau überlege, fällt mir schon noch was anderes ein, wo ich mich draufsetzen könnte.«
Bast schwieg. Diesmal hatte sie sich sorgsam abgeschirmt, aber sie musste ihn auch nicht berühren, um in den Abgrund zu blicken, der sich hinter seinem brutalen Äußeren verbarg. Was sie fühlte, schnürte ihr buchstäblich die Kehle zu.
»Tja, Schätzchen, jetzt zeigen wir dir mal, was echte englische Gentlemen sind«, sagte Roy. Dann erlosch sein Lächeln, als er ihr direkt in die Augen sah und ihm ganz allmählich dämmerte, dass mit einem Male nicht mehr die kleinste Spur von Furcht darin zu erkennen war. Bast ließ ihm auch genug Zeit, um zu begreifen, dass hier irgendetwas nicht so lief, wie er es sich vorgestellt hatte, bevor sie sich mit einem sanften Lächeln von der Wand abstieß und …
»Aufhören! Sofort!«
Die Stimme kam vom straßenwärtigen Rand der Gasse und war noch nicht einmal besonders laut, aber so befehlsgewohnt und scharf, dass Roy ganz instinktiv vor ihr zurückprallte und ganz eindeutig erschrocken aussah. Dann verzerrte sich sein Gesicht vor Wut zu einer Fratze, und er machte einen Schritt in Richtung des schlanken Schattens. Allerdings nur einen einzigen, denn der so plötzlich aufgetauchte Fremde hob den Arm, und selbst das schwache Licht, das hier in der Gasse herrschte, reichte aus, um die Waffe zu offenbaren, mit der er direkt auf Roys Gesicht zielte.
»Keinen Schritt weiter«, sagte er drohend. Sein Gesicht blieb weiter im Schatten, aber Bast hatte seine Stimme längst erkannt.
Sie war nicht einmal wirklich überrascht, sondern empfand eher so etwas wie eine sanfte Resignation, nicht auch das vorausgesehen zu haben.
»Was soll der Blödsinn?«, fauchte Roy. »Wer bist du? Was mischst du dich hier ein?«
Maistowe antwortete nicht darauf, sondern kam einen Schritt näher, sodass sein Gesicht nun doch wenigstens schemenhaft zu erkennen war, und fuchtelte drohend mit seinem Revolver. »Kommen Sie her, Bast«, sagte er. »Schnell! Und wenn sich einer von euch auch nur rührt, dann schieße ich.«
»Glaub ich nicht«, sagte Roy gelassen.
Bast versuchte nicht einmal, ihm eine Warnung zuzurufen. Sie wäre ohnehin zu spät gekommen.
Die Gestalt tauchte so lautlos und schnell hinter Maistowe auf wie ein Schatten, den die Nacht ausgespien hatte, und vermutlich spürte er nicht einmal, was ihn traf. Ein dumpfer, sonderbar trockener Schlag erscholl, und Maistowe ließ seine Waffe fallen und kippte ohne den geringsten Laut nach vorne. Das alles dauerte nicht einmal eine Sekunde, in der sich Bast einen weiteren, noch schärferen Tadel erteilte. Verdammt, sie hatte doch gewusst, dass die Kerle zu fünft waren!
Roy drehte sich mit einem breiten Grinsen zu ihr herum. »Was für ein Idiot«, sagte er. »Ein Freund von dir?«
»Nein«, seufzte sie. »Nur ein gutmütiger Amateur.«
»Ach – und was bist du?«, erkundigte sich Roy.
»Weder das eine noch das andere«, antwortete Bast lächelnd. »Du wirst es gleich erfahren.«
Roy sah sie verwirrt an. »Was soll denn das jetzt wie …«
Bast stieß ihm beide Handballen mit solcher Wucht in den Leib, dass er quer durch die Gasse torkelte und an der gegenüber liegenden Wand landete, und noch bevor er nach Luft ringend zusammenbrach, war sie bereits herumgewirbelt und mit zwei, drei rasend schnellen Schritten neben Maistowe – genauer gesagt, neben dem so überraschend aufgetauchten Angreifer, der sich in diesem Moment nach dem Revolver bücken wollte, den Maistowe fallen gelassen hatte. Ihr Fuß stieß die Waffe davon, bewegte sich schneller weiter, als sein Blick ihm überhaupt folgen konnte und landete mit solcher Wucht in seinem Gesicht, dass sie hören konnte, wie seine Zähne splitterten. Noch immer aus der gleichen Bewegung heraus fuhr sie herum und nahm zugleich eine geduckte Abwehrhaltung ein, die Beine leicht gespreizt und in sicherem Stand, und die Arme mit nach außen gekreuzten Handflächen vor dem Leib.
Es war überflüssig, aber Bast sah trotzdem, dass ihre prinzipielle Vorsicht nur zu berechtigt gewesen war. Einer der Kerle war neben Roy auf die Knie gesunken und machte irgendwelche sehr hilflos wirkenden Gesten, als könnte er seinem Boss auf diese Weise das Atmen
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