Anubis 02 - Horus
Schwärze jedoch nicht wirklich verscheuchen konnte, sondern die Szenerie ganz im Gegenteil eher noch gespenstischer erscheinen ließ. Die Straße glänzte nass wie ein welliger, in unzählige Splitter zerborstener Spiegel, und trotz der Kälte war jener leichte Nebel aufgekommen, für den diese Stadt berüchtigt war. Die Straßenlaternen und wenigen Fenster, hinter denen noch Licht brannte, hatten faserige Höfe, und alle Laute klangen gedämpft und auf eine Weise verzerrt, die es selbst ihren scharfen Ohren unmöglich machte, die genaue Richtung zu orten, aus der sie kamen. Irgendwo vor ihr, noch ein gutes Stück außerhalb ihrer Sichtweite, war ein Paar auf dem Heimweg, nervös und ein bisschen ängstlich, weil es die Zeit vergessen hatte und von der früh hereinbrechenden Dunkelheit in einer Gegend überrascht worden war, in die es sich selbst bei Tageslicht nur mit einem unguten Gefühl gewagt hätte, und Bast ging ein bisschen langsamer, um den Abstand zu ihnen zu wahren, denn sie wollte keine Unbeteiligten mit hineinziehen; nicht weil sie ein so großes Herz hatte, sondern aus rein pragmatischen Überlegungen heraus: Unbeteiligte Zuschauer waren zugleich auch Zeugen, die sie bei dem, was möglicherweise geschehen würde, nun wahrlich nicht gebrauchen konnte.
Auch hinter ihr waren Schritte, nahezu ebenso weit entfernt, aber der Nebel und die Erregung der Jagd verzerrten die Geräusche zu sehr, als dass sie sagen konnte, wie weit entfernt sie wirklich noch waren und wie viele.
Bast ging wieder etwas schneller, steuerte den Lichtschein einer der wenigen Gaslaternen an, die noch brannten, und blieb unmittelbar an seinem Rand stehen, sodass ihre Verfolger ihre Gestalt als deutlichen Umriss erkennen konnten, und sah sich mit kleinen, verwirrten Bewegungen um. Nicht weit vor ihr brannte noch Licht in einem Haus, und sie sah einen Moment lang konzentriert hin, als überlege sie, einfach dort zu klopfen und um Hilfe zu bitten, ging dann aber – nach einem nervösen Blick über die Schulter- weiter. An der nächsten Abzweigung angekommen, wandte sie sich nicht nach rechts, wie es richtig gewesen wäre, sondern nach links. Die Straße war hier schmaler, und es brannten nun überhaupt keine Laternen mehr. Auch die Häuser lagen so dunkel und still da, als wäre sämtliches Leben in diesem Teil der Stadt einfach erloschen. Sie ging schneller und war jetzt nur noch eine Winzigkeit davon entfernt, wirklich zu rennen. Dann hörte sie auch vor sich Schritte.
Bast blieb stehen und lauschte einen Moment lang konzentriert. In das Geräusch der Schritte mischte sich jetzt noch ein anderer Laut, ein sonderbares Wusch-Wusch, wie das Geräusch eines Dreschflegels, der durch die Luft fuhr, ohne jemals irgendetwas zu treffen. Bast runzelte verwirrt die Stirn – und stieß einen halblauten Fluch aus. Hastig fuhr sie herum, lief ein paar Schritte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war und glitt in eine schmale Lücke zwischen zwei heruntergekommenen Häusern, wo sie mit klopfendem Herzen wartete, während das Geräusch schwerer, nicht allzu eiliger Schritte langsam näher kam.
Es war eine Gestalt in einem dunklen, knielangen Gehrock, dessen Messingknöpfe in der Dunkelheit glänzten wie nasses Gold. Der schwarze Helm mit dem schimmernden Messingstern ließ sie größer erscheinen, als sie war, und im Gegensatz zu dem Konstabler, den sie vorhin getroffen hatte, war dieser Mann bewaffnet, wenn auch nur mit einem Schlagstock aus poliertem Holz, der mit einer Kordel an seinem rechten Handgelenk befestigt war, um das er ihn mit regelmäßigen Bewegungen kreisen ließ. Das war das seltsame Geräusch, das sie gehört hatte.
Bast spürte, dass er dazu ansetzte, einen Blick in die Lücke zu werfen, in die sie sich zurückgezogen hatte, überzeugte ihn hastig davon, dass es nicht nötig war, und wartete nun tatsächlich mit angehaltenem Atem, bis er vorbeigegangen war. Trotz allem erschien ein dünnes, flüchtiges Lächeln auf ihren Lippen. Anscheinend gab es tatsächlich ein in allen Kulturen und zu allen Zeiten gültiges Gesetz, nach dem sich die Obrigkeit niemals zeigte, wenn man sie wirklich brauchte, aber stets zur Stelle war, wenn man sie nun wirklich nicht gebrauchen konnte.
Sehr viel langsamer als Bast recht gewesen wäre, ging er an ihrem Versteck vorüber und hielt dann doch noch einmal inne. Er hörte damit auf, seinen Schlagstock kreisen zu lassen, und sah für die Dauer von zwei oder drei schweren Herzschlägen
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