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Anubis 02 - Horus

Anubis 02 - Horus

Titel: Anubis 02 - Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Kutsche und die vermutlich noch geringere Summe, die die beiden Billetts kosten würden, würden dafür sorgen, dass sich auch Mrs Walshs eigener Speiseplan in den nächsten Tagen tatsächlich auf das Frühstück beschränken musste. Bast nahm sich vor, Mrs Walsh bei ihrem Auszug mehr als großzügig zu entschädigen, ahnte zugleich aber auch schon, dass sie sich damit eine nicht unbedingt leichte Aufgabe gestellt hatte.
    »Ja, ich kann mir vorstellen, dass Sie überrascht sind«, knüpfte Mrs Walsh an das unterbrochene Gespräch an, nachdem sie den Fahrer bezahlt und Bast wie eine gestrenge Mutter am Arm ergriffen und ein Stück weit zurückgezogen hatte, damit sie den losrollenden Rädern des Fuhrwerkes nicht zu nahe kam, »und auch, dass Sie beeindruckt sind.«
    Bast sah sie ebenso fragend wie verständnislos an.
    »Dieses Gebäude ist großartig, nicht wahr? Sie müssen sich vorkommen wie in Ihrer Heimat. Sieht es nicht ganz aus wie ein ägyptischer Tempel?«
    Eher wie ein griechischer, dachte Bast. Oder ein römischer. Oder nichts von alledem. Im Grunde war es ein heilloses Konglomerat der unterschiedlichsten Baustile und -richtungen. Der Architekt, der dieses Stein gewordene Monstrum ersonnen hatte, hatte zweifellos in bester Absicht gehandelt und versucht, die monumentalen Bauten der Vergangenheit nachzuempfinden, und ebenso zweifellos erreichte dieses Gebäude bei den meisten Betrachtern die beabsichtigte Wirkung. Für sie jedoch war es nichts als ein unzulänglicher Versuch, etwas nachzuahmen, das Menschen auch früher schon nicht zu erschaffen imstande gewesen waren. Wie konnten sich Sterbliche einbilden, etwas zu schaffen, das nur vordergründig aus Stein und Holz und anderen, vergänglichen Materialien bestand und doch im Grunde nichts anderes war als Stein gewordene Zeit?
    »Es ist … erstaunlich«, sagte sie noch einmal.
    »Dann warten Sie erst einmal ab, bis Sie sein Inneres sehen«, sagte Mrs Walsh stolz. »Die größten Kunstschätze der Welt sind hier versammelt. Und das ist noch lange nicht alles.«
    Bast hatte sowohl eine vage Vorstellung, was sie hinter den altehrwürdigen Mauern dieses Gebäudes erwartete, als auch eine noch sehr viel konkretere davon, ob sie alles das wirklich sehen wollte oder nicht. Aber Mrs Walsh war nicht mehr zu bremsen. Vielleicht nur, um ihr einen Gefallen zu tun und das noch immer anhaltende, beharrliche Flüstern und Locken tief unter ihren Gedanken zum Verstummen zu bringen, fragte Bast mit gespieltem Interesse: »Was denn, meine Liebe?«
    »Oh, alles einfach«, antwortete Mrs Walsh. Ihr Erstaunen war ganz eindeutig nicht gespielt. »London.«
    »London?«
    Sie begannen nebeneinander die breite Freitreppe hinaufzugehen, deren Stufen gerade eine Winzigkeit zu hoch – und entschieden zu breit – waren, um sie wirklich bequem überwinden zu können. Außerdem stimmte etwas mit dem Winkel nicht. Selbst Bast mit ihrer außergewöhnlichen Größe musste beständig den Kopf in den Nacken legen, um das Gebäude in seiner Gänze ansehen zu können, was zumindest in ihrem Fall allerdings nicht dazu führte, dass sie sich irgendwie klein oder gar unbedeutend vorkam, sondern einfach nur genervt. Es war unbequem.
    »London«, bestätigte Mrs Walsh. »Sie müssen einen ganz schrecklichen ersten Eindruck von unserem Land und dieser Stadt bekommen haben, aber London ist nicht nur so. Es hat auch schöne Seiten, und es leben eine Menge ganz wunderbare Menschen hier. Und glauben Sie mir, Gott schaut auf London.«
    Bast hütete sich, irgendetwas darauf zu erwidern, denn dann wäre Mrs Walsh vermutlich erst richtig in Fahrt gekommen und hätte aus dem Museumsbesuch möglicherweise eine komplette Stadtrundfahrt samt einer Besichtigung der Tower Bridge und der Kronjuwelen gemacht. Sie fragte sich immer noch, was sie eigentlich hier tat.
    Bast hob den Blick, um das gewaltige Giebelfeld über dem Eingang noch einmal aus der Nähe in Augenschein zu nehmen und hatte die Antwort auf ihre Frage.
    Ein in Stein gehauenes Basrelief zeigte in einem Stil, der den griechischen Tempeln der Antike nachempfunden war, eine Ansammlung von allegorischen Gestalten oder Göttern, die es in dieser Form niemals gegeben hatte, doch Bast musste – beinahe gegen ihren Willen – zugeben, dass sich der Künstler wirklich angestrengt hatte und allein die Größe der Figuren selbst auf sie nicht ohne Wirkung blieb. Oder hätte es zugeben müssen, hätte sie die gemeißelten Figuren länger als auch nur einen

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