Anubis 02 - Horus
schüttelte Mrs Walsh nur den Kopf und scheuchte sie mit einem entsprechenden Blick aus dem Weg, um das Tablett ebenso schnell wie geschickt selbst abzuräumen. Der Duft, der aus den Terrinen und Schüsseln aufstieg, ließ ihr abermals das Wasser im Mund zusammenlaufen, und dann – es war ihr ein wenig peinlich – hörte sie, wie ihr Magen knurrte.
»Verzeihen Sie«, sagte sie rasch.
Maistowe tat so, als hätte er nichts gehört, aber Mrs Walsh lächelte nur flüchtig. »Es ist doch keine Schande, hungrig zu sein«, sagte sie. »Vor allem nicht nach einem Tag wie diesem.« Sie wedelte mit der Hand. »Nun setzen Sie sich schon und greifen Sie zu.«
Bast gehorchte, zumindest was das Setzen anging, rührte ihr Besteck aber nicht an. »Wegen heute Morgen …«, begann sie.
»… habe ich tatsächlich die eine oder andere Frage an Sie«, fiel ihr Mrs Walsh ins Wort, »das ist wahr. Aber nichts kann so wichtig sein, dass es nicht Zeit bis nach dem Essen hätte. Ich bin jedenfalls sehr hungrig, und Sie wissen ja, was man sagt: Ein leerer Bauch studiert nicht gern.«
»Ich dachte immer, es hieße genau andersherum«, schmunzelte Bast.
»Das ist eine Lüge, die die Studenten in die Welt gesetzt haben, um sich selbst etwas vorzumachen«, behauptete Mrs Walsh, während sie zuerst Maistowe und dann ihr eine gewaltige Portion Stew auftat.
Bast musste sich beherrschen, mit der angemessenen Ruhe nach ihrem Besteck zu greifen und nicht zu schlingen. Mit einem leisen Gefühl von Erstaunen registrierte sie, dass sie tatsächlich hungrig war – rein körperlich hungrig –, und das war wirklich ungewöhnlich. Vielleicht versuchte irgendetwas in ihr, auf diese Weise einen anderen, viel dunkleren Hunger zu kompensieren, den sie im Moment nicht stillen konnte.
Genau wie am vergangenen Abend aßen sie schweigend, und genau wie am vergangenen Abend lehnte sich Maistowe anschließend mit einem durch und durch zufriedenen Seufzen zurück und zog sein Zigarettenetui hervor, ließ es aber fast hastig wieder verschwinden, als Mrs Walsh ihm einen Blick zuwarf, der vermutlich selbst Horus und Sobek mitsamt ihrem Drachen in die Flucht geschlagen hätte. Aus der gleichen Bewegung heraus sah er wieder auf das Ziffernblatt der Standuhr, und Bast tat dasselbe. Es ging auf halb zwölf zu.
»Anscheinend kommt Ihr Bekannter nicht mehr«, sagte sie.
»Ja, so sieht es aus«, antwortete Mrs Walsh an seiner Stelle.
»Das ist bedauerlich, zumal Inspektor Abberline im Grunde nur Ihretwegen herkommen wollte.«
Es dauerte fast eine Sekunde, aber dann machte es tatsächlich und hörbar Klick hinter Basts Stirn. » Inspektor Abberline?«, fragte sie alarmiert.
Mrs Walsh hob besänftigend die Hand. »Keine Sorge, mein Kind«, sagte sie. »Es ist nicht so, wie Sie denken.«
»So?«, fragte Bast. »Was denke ich denn?«
Mrs Walsh überging die Frage. »Ich habe Ihnen doch erzählt, dass Jacob über gute Verbindungen zu den Behörden verfügt«, sagte sie, »und dass wir Ihnen helfen können, Ihre Verwandte zu finden. Inspektor Frederick Abberline ist der für Whitechapel zuständige Kriminalbeamte, und wie es der Zufall will, ist er auch ein guter Freund von Jacob. Wenn es außerhalb von diesen … Kreisen jemanden gibt, der etwas über Ihre … Schwester weiß, dann er. Aus diesem Grunde hat Jacob ihn gebeten, hierherzukommen und mit Ihnen zu reden. Ganz inoffiziell«, fügte sie hastig hinzu.
»Warum?«, fragte Bast. »Ich meine: Warum tun Sie das für mich?«
»Sie meinen, weil Sie eine Fremde für uns sind und wir eigentlich keinen Grund haben, uns um Sie zu sorgen, mein Kind?« Mrs Walsh schenkte ihr einen tadelnden Blick. »Gottlob denkt nicht jeder so. Und außerdem«, fügte sie mit einem diesmal eindeutig spöttischen Augenzwinkern hinzu, »bin ich neugierig. Eine durchaus weibliche Eigenschaft, nicht wahr?«
»Aber manchmal auch eine gefährliche«, antwortete Bast ernst.
»Aber ich bitte Sie«, erwiderte Mrs Walsh. »Was sollte mir schon passieren, mit jemandem wie Ihnen an meiner Seite?«
»Ich meine es ernst, Mrs Walsh«, sagte Bast ruhig. Sie warf einen raschen Seitenblick auf Maistowe und erkannte, dass es nicht notwendig war, ihre Worte mit Bedacht zu wählen. Mrs Walsh hatte ihm alles erzählt. Was hatte sie denn erwartet? »Ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie mir helfen wollen, aber …«
»Geholfen haben, meine Liebe«, unterbrach sie Mrs Walsh. »Wahrscheinlich erinnern Sie sich nicht – so wenig wie ich verstehe, wie
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