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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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wollte, aber ganz gewiss nicht alles, was er wusste . Bevor er jedoch eine entsprechende Frage stellen konnte, mischte sich Miss Preussler ein.
    »Bitte verzeihen Sie, Doktor Graves«, sagte sie. »Ich bin sicher keine Wissenschaftlerin und verstehe nichts von alledem, worüber Sie da reden – aber was Sie sagen, erscheint mir vollkommen unsinnig.«
    »So?«, fragte Graves. Er wirkte leicht amüsiert.
    »Ich meine: Selbst wenn Sie Recht haben, was die Herkunft dieser Kreaturen angeht – wie kann sich eine Spezies entwickeln, die nur aus männlichen Exemplaren besteht?« Sie lächelte unsicher. »Auch wenn ich nicht viel Erfahrung in diesen Dingen habe, so scheint mir da doch … etwas zu fehlen.«
    »Ein sehr kluger Einwand«, antwortete Graves. »Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Niemand weiß, warum dieseWesen hierher gebracht worden sind. Vielleicht war es niemals geplant, dass sie sich fortpflanzen. Es ist gut möglich, dass sie künstlich erschaffen worden sind.«
    »Künstlich?«, wiederholte Miss Preussler ungläubig.
    »Vielleicht«, schränkte Graves ein. »Oder sie wurden nur hierher gebracht, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Vielleicht wurden sie nur als Arbeiter hergebracht oder als Wächter … ich nehme nicht einmal an, dass sie hier bleiben sollten. Irgendetwas muss schief gegangen sein. Vielleicht sind einige wenige Exemplare entkommen und haben einen Weg gefunden, sich fortzupflanzen.«
    »Und das hast du all die Zeit über gewusst?«, flüsterte Mogens entsetzt.
    »Nicht gewusst«, korrigierte ihn Graves. »Aber ich habe es geahnt – oder sollte ich besser sagen: befürchtet.«
    »Und du hast es niemals jemandem gesagt?« Mogens’ Stimme begann zu zittern. Er hätte Graves angeschrien, hätte er noch die Kraft dazu gehabt.
    »Gesagt?«, wiederholte Graves, während er sich gänzlich zu ihm herumdrehte und ihn auf sonderbar nachdenklich und teilnahmsvoll zugleich wirkende Weise ansah. »Aber wem denn?«
    »Allen!«, erwiderte Mogens. »Der Polizei! Dem Militär! Den … den Behörden! Mir! «
    Graves lächelte milde. »Aber was hätte ich ihnen denn sagen sollen?«, fragte er. »Dass ich den Verdacht habe, Geschöpfe aus einer fremden Welt trieben seit Jahren ihr Unwesen bei uns? Dass ich glaube, dass sie Frauen entführen, damit sie ihre Kinder austragen, und unter Friedhöfen leben und sich von Leichen ernähren?« Er schüttelte fast sanft den Kopf. »Wer hätte mir wohl geglaubt?«
    »Ich«, antwortete Mogens. Plötzlich drohte seine Stimme zu versagen. Es fiel ihm immer schwerer, Graves anzusehen, und noch schwerer, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. »Ich«, flüsterte er noch einmal.
    »Ich weiß«, antwortete Graves. »Du wärst vielleicht der Einzige gewesen, mein Freund. Weil du sie gesehen hast. Aber ich konnte es dir nicht sagen.«
    »Warum?«, murmelte Mogens. Brennende Hitze schoss ihm in die Augen, aber er schämte sich dieser Tränen nicht.
    »Du warst noch nicht so weit«, antwortete Graves. »Was hätte ich dir sagen sollen? Dass ich weiß, was mit Janice passiert ist?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Du wärst daran zerbrochen, Mogens. Ich konnte es dir nicht sagen.«
    Mogens erwiderte nichts mehr darauf, und wie hätte er es auch gekonnt? Seine Stimme versagte ihm endgültig den Dienst, und die Tränen liefen nun frei und ungehemmt über sein Gesicht. In seiner Brust tobte ein Orkan von Gefühlen. Aber er versuchte vergeblich, auch nur eine Spur von Hass oder auch nur Zorn darin zu finden, der Graves galt. Graves hatte Recht. Selbst wenn er ihm geglaubt hätte, so wäre er an diesem Wissen zerbrochen. Vielleicht war das Einzige, was ihn in den zurückliegenden neun Jahren am Leben erhalten hatte, tatsächlich die Hoffnung gewesen, Janice könnte noch leben und er könnte sie eines Tages wiedersehen. Und trotzdem wäre der Gedanke, welcher Art dieses Leben war und welches grässliche Schicksal ihr drohte, tausendmal schlimmer als das sichere Wissen um ihren Tod gewesen.
    Statt noch irgendetwas zu Graves zu sagen, drehte er mit einem Ruck den Kopf und sah wieder das Mädchen an. Sie erwiderte seinen Blick mit einer Art vorsichtiger Neugier, aber die schreckliche Leere zog sich dennoch nicht ganz aus ihren Augen zurück. Mogens wusste nichts von diesem Mädchen, weder ihren Namen noch ihre Herkunft, und schon gar nichts über ihr Schicksal, wie sie in die Gewalt der Ghoule geraten war. Eines aber machte ihm dieser Blick in ihren Augen mit

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