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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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die verzehrende Optik dieser unheimlichen Stadt auch einfach auf.
    »Das mit dem Boot tut mir Leid«, sagte Mogens unbehaglich. »Wir hätten es Ihnen sagen sollen – aber es erschien mir wirklich nicht wichtig.« Aber war das wirklich die Wahrheit, fragte er sich. Die ehrliche Antwort gerade hätte Nein gelautet. Dieses Boot war wichtig . Aber etwas daran – irgendetwas in dieser unterirdischen Höhle – hatte ihn zutiefst erschreckt.
    »Es ist schon gut«, antwortete Miss Preussler in einem unerwartet sanften, fast schon mütterlichen Ton, der ihn begreifen ließ, dass der Zorn und die Empörung in ihrer Stimme einzig Graves gegolten hatten, nicht ihm. »Ich … ich muss mich noch bei Ihnen bedanken, Professor.«
    Mogens wandte sich mit fragendem Gesichtsausdruck zu ihr um. »Wofür?«
    Miss Preussler druckste einen Moment herum. Schließlich antwortete sie, ohne ihm direkt in die Augen zu blicken: »Was Sie vorhin getan haben, war sehr mutig.«
    »Ich verstehe nicht …«, antwortete Mogens. Das war die Wahrheit. Er verstand tatsächlich nicht gleich, wovon sie überhaupt sprach.
    »Dieses Ungeheuer, das mich angegriffen hat«, erklärte sie. »Es hätte mich getötet, wenn Sie nicht eingegriffen hätten. Sie haben Ihr Leben riskiert, um mich zu retten.«
    Mogens hob verlegen die linke Schulter, und er konnte selbst spüren, wie sich ein fast albernes Grinsen auf seinen Lippen ausbreitete. Miss Preusslers Worte machten ihn tatsächlich verlegen, und sie entsprachen ebenso sehr der Wahrheit, wie sie nicht stimmten. Zweifellos hatte er sein Leben riskiert, indem er den Ghoul angriff, aber sein scheinbar selbstloses Verhalten hatte nichts mit Mut zu tun gehabt. Tatsache war, dass er gar nicht darüber nachgedacht hatte.
    »Ich wollte eigentlich …«
    »… keinen Dank, ich weiß«, unterbrach ihn Miss Preussler. »Gerade das macht es ja so schwer.« Sie schüttelte den Kopf, und ein sonderbar weicher Ausdruck erschien in ihren Augen, den Mogens nicht zu deuten vermochte. »Sie sind ein so guter Mensch, Professor, und Sie machen es einem so schwer. Aber ich glaube, ich habe Ihnen lange Zeit über Unrecht getan.«
    »Womit?«, fragte Mogens.
    Bevor sie antwortete, drehte Miss Preussler den Kopf und maß das Mädchen mit einem sehr langen, sehr traurigen Blick. »Das Mädchen, von dem Sie mir erzählt haben. Ihre Freundin.«
    »Janice.«
    »Janice«, bestätigte Miss Preussler. »Diese Ungeheuer haben sie geholt?«
    »Ja«, bestätigte Mogens bitter. »Ich war dabei. Und es war meine Schuld.«
    »Unsinn«, sagte Miss Preussler sanft. »Das glaube ich Ihnen nicht.«
    »Aber es ist die Wahrheit«, murmelte Mogens. »Sie haben sie vor meinen Augen entführt, und ich habe nichts getan, um sie daran zu hindern.«
    Miss Preusslers Hände machten eine unwillige Geste, wie um seine Worte wegzuwischen. »Und was hätten Sie tun sollen?«, fragte sie. »Diese Kreaturen mit bloßen Händen angreifen? Sie wären getötet worden.«
    »Ich weiß«, antwortete Mogens. Aber das war nicht der Punkt. Vielleicht wäre es seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen, bei dem Versuch getötet zu werden, Janice zu retten. Aber er hatte einfach dagestanden und zugesehen, starr vor Schrecken und gelähmt vor Entsetzen und – ja, und vor Angst  –, und er hatte nichts getan. Warum hatte er vor neun Jahren nicht ebenso reagiert wie vor neun Minuten? Das Schlimme an dem, was er erlebt hatte, war nicht sein Versagen. In diesem Punkt hatte Miss Preussler vollkommen Recht: Es hätte nichts geändert. Er wäre getötet oder bestenfalls schwer verwundet worden, und der Ghoul hätte Janice trotzdem verschleppt. Aber er hatte es ja nicht einmal versucht .
    »Machen Sie sich keine Vorwürfe, Professor«, sagte Miss Preussler. Anscheinend war es in diesem Moment nicht schwer, seine Gedanken zu lesen. »Niemandem ist damit geholfen.« Sie zwang sich zu einem Lächeln, das aber ebenso verunglückte wie der aufmunternde Ton, in dem sie weiterzureden versuchte. »Wenn Sie noch etwas für dieses arme Mädchen tun wollen, dann helfen Sie mir, ein Auge auf Doktor Graves zu halten.«
    »Sie trauen ihm nicht«, vermutete Mogens. Was für eine Frage!
    »Natürlich nicht«, antwortete sie. »Im Moment glaubt er vermutlich sogar selbst, was er sagt. Aber das wird nicht so bleiben. Ich kenne Menschen wie Graves zur Genüge. Wenn wir hier herauskommen, dann wird er es sich überlegen. Ein Mann wie er wird niemals zulassen, dass das alles hier

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