Anubis - Roman
konntesehen, wie sich auf ihren nackten Unterarmen eine Gänsehaut bildete.
»Das muss mit dem Tor zusammenhängen«, sagte Graves. »Je mehr man sich der Pyramide nähert, desto kälter wird es.« Er machte eine Kopfbewegung in die Richtung, in die Tom verschwunden war. »Beeilen wir uns.«
Sie gingen – sehr schnell – los, und Mogens atmete insgeheim auf, als sich ihnen das Mädchen ohne Zögern anschloss. Auch Miss Preussler wirkte deutlich erleichtert; offensichtlich hatte auch sie mit mehr Schwierigkeiten gerechnet. Vielleicht erwies es sich ja nun als Vorteil, dass die junge Frau praktisch willenlos war. Mogens glaubte jedoch nicht, dass das so bleiben würde.
Er sollte Recht behalten.
Sie ließen die Allee und auch den Rest der Stadt unbehelligt hinter sich, doch als sie die Brücke erreichten, blieb die junge Frau urplötzlich stehen. Miss Preussler ergriff sie wieder am Arm und versuchte sie mit sanfter Gewalt auf die Brücke hinaufzuziehen, aber sie riss sich los und wich ganz im Gegenteil einen Schritt zurück.
»Miss Preussler, bitte!«, sagte Graves. »Unsere Zeit ist knapp.«
»Seien Sie still«, antwortete Miss Preussler unwillig und wandte sich mit einem beruhigenden Lächeln an das Mädchen. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte sie. »Wir bringen dich in Sicherheit. Du willst doch auch raus hier, oder? Weg von diesen schrecklichen Ungeheuern.«
Sie hob beruhigend die Hand, aber ihre Geste zeitigte eher den gegenteiligen Effekt: Das Mädchen machte einen weiteren halben Schritt zurück, presste das Bündel mit dem toten Kind noch fester an die Brust und schüttelte heftig den Kopf. Ein erschrockener, fast schon entsetzter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.
»Ja, du hast Angst«, seufzte Miss Preussler. »Wenn ich doch nur wüsste, ob du mich wenigstens verstehst.« Sie legte den Kopf auf die Seite und sah das Mädchen fragend an, bekam aber keine irgendwie geartete Reaktion zur Antwort.
»Miss Preussler«, sagte Graves. »Bitte!«
Diesmal ignorierte sie ihn vollends. »Du musst uns einfach vertrauen«, fuhr sie an das Mädchen gewandt und mit leiser, zugleich sanfter wie auch sehr eindringlicher Stimme fort. »Diese Ungeheuer werden bald aufwachen. Wenn wir dann noch hier sind, werden sie uns töten – und dich wieder verschleppen. Das willst du doch nicht, oder?«
Sie bekam auch jetzt keine Antwort, aber Graves riss endgültig der Geduldsfaden. Mit einem gemurmelten Fluch trat er an Miss Preussler vorbei und streckte die Hände nach dem Mädchen aus. Miss Preussler machte eine Bewegung, wie um ihn zurückzuhalten, aber Graves schob sie einfach zur Seite. »Wir haben keine Zeit für diesen Unsinn!«, knurrte er.
Das Mädchen reagierte ganz genau so, wie Mogens erwartet hatte: Das tote Kind noch immer fest an die Brust gedrückt, versuchte es einen weiteren Schritt vor Graves zurückzuweichen und schlug gleichzeitig mit der freien Hand nach ihm. Mogens hatte ja bereits Bekanntschaft mit ihren Fingernägeln gemacht und gönnte es Graves insgeheim, diese schmerzhafte Erfahrung zu wiederholen, doch Graves dachte nicht daran, sich das Gesicht zerkratzen zu lassen, oder vielleicht Schlimmeres. Blitzschnell packte er das Handgelenk des Mädchens, verdrehte ihren Arm und schlug ihm gleichzeitig mit der anderen Hand so fest ins Gesicht, dass sie wankte. Miss Preussler schrie empört auf, und auch Mogens sog erschrocken die Luft zwischen den Zähnen ein, doch Graves ließ sich weder von dem einen noch von dem anderen beeindrucken, sondern trat ganz im Gegenteil mit einem raschen Schritt noch dichter an das Mädchen heran und entriss ihm das Kind.
Die junge Frau schrie gellend auf und wollte sich mit hochgerissenen Armen auf ihn werfen, aber Graves stieß sie so derb zurück, dass sie taumelte und schließlich ungeschickt auf die Knie fiel. Sofort sprang sie wieder in die Höhe und attackierte ihn erneut. Graves stieß sie ein zweites Mal zu Boden, schüttelte ärgerlich den Kopf und versetzte ihr bei ihrem nächsten Angriff einen Schlag mit dem Handrückenquer über das Gesicht, der sie zum dritten Mal auf die Knie herabsinken ließ. Diesmal krümmte sie sich, schlug beide Hände vor den Mund und begann leise zu wimmern.
»Graves, was fällt Ihnen ein?«, keuchte Miss Preussler.
Graves würdigte sie nicht einmal einer Antwort. Mitleidlos sah er auf die schluchzende junge Frau hinab und wartete, bis sie den Kopf hob und zu ihm hochsah, und hielt das tote Kind an einem
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