Anubis - Roman
zerstört wird. Aber das wiederum werde ich nicht zulassen.«
Ihre Worte klangen nicht nur bitterernst, Mogens spürte auch, dass sie genau so gemeint waren. Und sie hatte Recht. Irgendetwas hatte Graves zutiefst erschreckt und bis auf den Grund seiner Seele verstört, und jetzt, in diesem Augenblick,meinte er zweifellos ganz genau das, was er gesagt hatte. Aber das würde nicht so bleiben. Jonathan Graves würde niemals zulassen, dass diese Stadt zerstört wurde.
Selbst Mogens – sogar noch in diesem Moment – verspürte ein tiefes Bedauern bei dem Gedanken, all diese fantastischen Artefakte, diesen unerschöpflichen Schatz und uraltes Wissen zerstören zu sollen, und auch er spürte, wie leicht es wäre, der flüsternden, verlockenden Stimme in sich nachzugeben. Unbeschadet all des Schreckens, auf den sie gestoßen waren, all der entsetzlichen Dinge, die sich noch hier unten verbergen mochten, hatten sie doch zugleich einen Schatz von unermesslichem Wert gefunden; ein Artefakt aus einer vollkommen fremden, andersartigen Welt, der nicht nur ihnen, sondern womöglich der gesamten Menschheit einen Schritt in eine Zukunft ermöglichte, von der sie bisher noch nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Das Volk, das diese unbegreifliche Stadt errichtet hatte, hatte den Abgrund zwischen den Sternen überwunden, während die Menschen gerade zaghaft damit begannen, sich auf zerbrechlichen Flügeln aus Segeltuch und Holz für wenige Augenblicke von der Oberfläche ihres Planeten zu erheben. All das hier zu zerstören, auch nur einen einzigen Stein zu zerschlagen, ein einziges Bild auszulöschen war weit mehr als ein Dolchstoß ins Herz eines Archäologen, es war ein Verbrechen an der Menschheit, Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, die ihr gestohlen wurden.
Und dennoch musste es sein. Hinter all dem Unbegreiflichen, hinter all dem überlegenen Wissen, dem Wohl, das seine Anwendung für die Menschen bedeuten mochte, lauerte noch etwas anderes. Mogens hatte es die ganze Zeit über gespürt, nicht erst, seit sie hier heruntergekommen waren, sondern schon sehr viel länger – vielleicht seit jenem schrecklichen Tag, an dem er Janice verloren hatte –, und erst jetzt, in genau diesem Moment war er dazu bereit, es sich auch selbst einzugestehen: Sie waren auf das absolut Böse gestoßen. Mogens zweifelte nicht daran, dass es ihnen gelingen konnte, der Ungeheuer und aller anderen Gefahren, die hier untenlauern mochten, Herr zu werden. Er zweifelte nicht daran, dass sie die Ghoule auslöschen und auch alle anderen Gefahren und Fallen überwinden und am Ende selbst das Tor zu den Sternen verschließen oder gar für ihre eigenen Zwecke nutzen konnten. Selbst ihnen war es gelungen, den Gefahren bisher zu trotzen, drei schwache, verwundbare Menschen, die kaum etwas anderes als ihre bloßen Hände und ihren Willen zum Überleben besaßen. Die simple Tatsache, dass sie noch lebten, bewies, dass ihre Feinde nicht unüberwindlich waren. Sie konnten sie besiegen, und sie konnten den Schatz bergen, den ihnen die Besucher vom Sirius dagelassen hatten. Aber der Preis, den sie – und vielleicht die ganze Welt – dafür würden zahlen müssen, war zu hoch.
»Sie glauben, diesem Mädchen etwas schuldig zu sein«, fuhr Miss Preussler fort. »Und Sie haben Recht, Professor. Sie sind ihr schuldig, diesem Albtraum ein Ende zu bereiten. Wir können nichts mehr für sie tun. Aber wir können dafür sorgen, dass nicht noch mehr Unschuldige ihr Schicksal teilen müssen.«
Mogens wollte antworten, doch in diesem Moment kam Graves zurück, und obwohl es vollkommen unmöglich war, dass er auch nur ein einziges Wort von dem verstanden hatte, was Miss Preussler oder er gesagt hatten, musste ihm doch irgendetwas aufgefallen sein, denn er setzte zwar dazu an, etwas zu sagen, zog aber dann nur die Augenbrauen zusammen und sah sie mit sich rasch verfinsterndem Gesichtsausdruck an, um schließlich mit den Schultern zu zucken; als hätte er sich in Gedanken selbst eine Frage gestellt und die mögliche Antwort dann als belanglos abgetan.
»Der Weg scheint frei zu sein«, sagte er. »Falls ihr euer Gespräch also für einen kurzen Moment unterbrechen könnt, wäre das jetzt möglicherweise der Augenblick, um aufzubrechen.«
Mogens trat wortlos an ihm vorbei und aus dem Haus. Er hatte das Gefühl, dass es kälter geworden war; und als er ausatmete, sah er eine graue Dampfwolke vor dem Gesicht. Auch Miss Preussler blickte überrascht hoch, und er
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