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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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erschreckte ihn.
    »Aber Mogens, alter Freund«, griente Graves. »Du wirst doch nicht etwa mein Telegramm nicht bekommen haben? Das wäre nun wirklich unangenehm – obwohl es andererseits jetzt auch keine Rolle mehr spielt. Ich habe dich ja angetroffen.« Er trat einen Schritt zurück, sah sich ungeniert im Zimmer um und griff mit übertrieben geschauspielertem Erstaunen nach dem Telegramm, das auf dem Tisch lag. »Du hast wohl anscheinend nur die Zeit vergessen. Noch immer ganz der zerstreute Professor von früher, wie?«
    »Was … willst … du … Jonathan?«, wiederholte Mogens gepresst. Er musste sich jedes Wort einzeln abringen. Seine Muskeln schmerzten, so verkrampft, wie er noch immer dasaß, und er verstand seine eigene Reaktion nicht mehr. »Bist du gekommen, um deinen inneren Triumph zu genießen?«
    Seine Worte waren … albern. Sie klangen nicht einmal zornig, oder wenigstens verbittert, sondern selbst in seinen eigenen Ohren albern und billig, wie ein Zitat aus einem der Kolportage-Romane, die Miss Preussler so gerne las und von denen er einige flüchtig durchgeblättert hatte, um hinter das Geheimnis ihrer Faszination zu kommen, selbstverständlich ergebnislos. Aber er würde sich nicht auf den vertraulichen Ton seines Gegenübers einlassen, das war er seiner Selbstachtung schuldig.
    »Hast du mein Telegramm etwa nicht gelesen, Professor?«, fragte Graves mit gespieltem Staunen und hob die Brauen.
    »Das habe ich«, erwiderte Mogens. »Zum dritten Mal: Was willst du, Graves?«
    Graves griente noch einige Augenblicke lang weiter, doch dann schien er endlich genug zu haben, denn er wurde plötzlich ernst, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich unaufgefordert. »Also gut, Mogens. Lassen wir das Theater. Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst, und ich gebe dir mein Wort, dass mir vor diesem Moment ebenso bange war wie dir – aber nun haben wir ihn ja hinter uns gebracht, nicht wahr?«
    Nichts hatten sie hinter sich, rein gar nichts. In Mogens’ Gedanken und Gefühlen herrschte noch immer ein unbeschreibbarer Aufruhr, aber ein kleiner, zurzeit allerdings zur Tatenlosigkeit verdammter Teil seines Bewusstseins blieb ganz ruhig, und dieser Teil Professor VanAndts verstand seine eigene Reaktion ganz und gar nicht mehr. Er hatte angenommen, dass er sich zumindest allmählich wieder beruhigen würde, nachdem der erste Schrecken über Graves’ unvermittelte Rückkehr in sein Leben vorüber war, doch das genaue Gegenteil schien der Fall zu sein. Der Aufruhr hinter seiner Stirn hielt an, ja, er schien sogar noch zuzunehmen, als hätte Graves’ bloßer Anblick etwas in ihm ausgelöst, gegen das er machtlos war.
    Mogens war niemals ein gewalttätiger Mensch gewesen, sondern hatte Gewalt zeit seines Lebens sogar aus tiefstem Herzen verabscheut. Nun aber war er beinahe froh darüber, dass ihn der Schrecken noch immer lähmte, denn wäre es anders gewesen, dann hätte er sich vielleicht auf Graves gestürzt, um mit Fäusten auf ihn einzuschlagen. So konnte er nichts anderes tun, als dazusitzen und den Mann anzustarren, der sein Leben zerstört hatte.
    Was er sah, das hätte ihn unter normalen Umständen höchstwahrscheinlich erstaunt, denn Jonathan Graves bot einen sehr sonderbaren Anblick. Seine Kleidung war teuer, um nicht zu sagen luxuriös, und in tadellosem Zustand. Seine Schuhe, die mehr gekostet haben mussten als alles, was Mogens am Leibe trug, waren auf Hochglanz poliert, die Bügelfalten seiner Hosen messerscharf, und auf den Revers seines modischen Zweireihers befand sich nicht das geringste Stäubchen. Eine kostbare Uhrkette zierte seine Weste, und er trug eine teure Seidenkrawatte mit einer Spange, die von einem fast fingernagelgroßen Rubin geziert wurde; Mogens war ziemlich sicher, dass er echt war.
    Dieser Aufzug allein hätte ihn jedoch nicht überrascht. Jonathan war schon immer ein eitler Geck gewesen, und ein furchtbarer Angeber dazu. Was Mogens jedoch zutiefst verwirrte und zugleich auf eine schwer definierbare Weise erschreckte, das war Graves selbst. Er konnte die Gefühle, die sein Anblick in ihm auslöste, nicht wirklich in Worte fassen, aber sie waren unglaublich … intensiv. Das Gefühl, etwas Falsches zu betrachten. Etwas, das nicht nur falsch war, sondern nicht sein durfte, weil es widernatürlich und blasphemisch war.
    Er versuchte den Gedanken zu verscheuchen und wieder Ordnung in das Durcheinander hinter seiner Stirn zu bringen. In die einander widersprechenden

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