Apfeldiebe
einen zweiten Anlauf nach oben starten, doch Alex hielt ihn zurück. Und auch Kasimir stellte sich Timi in den Weg.
» Wir kommen raus, Timi«, sagte Kasi, »du darfst nicht durchdrehen, hörst du?« Timi wehrte sich, trat Alex auf die Füße, dann hatte er das wenige an Kraft, was der Berg ihm noch gelassen hatte, aufgebraucht. Timi sank auf die Knie, sein Weinen wurde leiser, zuletzt zitterten nur noch seine Schultern. Er ließ sich zur Seite fallen und starrte durch einen Vorhang aus Tränen hinauf zum Licht am Ende dieses Tunnels. Woran keiner mehr wirklich geglaubt hatte, es schien wahr zu werden: Rettung.
» Ihr da unten – alles in Ordnung? Geht’s euch gut?«
Timi wollte gerade von Rufus und von Kasis Arm erzählen, etwas von der eigenen Angst nach oben schreien, da legte Alex ihm die Hand auf den Mund. »Nicht jetzt«, sagte er zu Timi und schüttelte den Kopf. »Dafür ist später noch Zeit.« Dann wandte er sich wieder dem Schattenkopf über ihnen zu. »Geht schon. Lassen Sie eine Leiter runter?« Denn dass da oben Rettungsmannschaften warteten, ausgestattet mit Leitern, Seilen und Lampen, stand für Alex außer Frage. Umso mehr überraschte ihn Seilers Antwort.
» Leiter? Kinder, ich bin allein und von einer Leiter weit und breit keine Spur. Aber ich hol Hilfe, ja? In zwei Stunden bin ich im Dorf und …«
» Nein!«, schrie Timi. Er wollte nicht noch einmal allein gelassen werden. »Du darfst nicht weggehen, hörst du? Bitte, nicht weggehen.« Timi wollte einen erneuten Anlauf nach draußen starten, diesmal aber schaffte er es nicht einmal mehr auf die eigenen Beine. Er rollte die Halde hinunter, beide Hände nach Seiler ausgestreckt. »Bitte, nicht weggehen.«
» He, he, he, langsam, Junge! Du tust ja gerade so, als würde ich das Loch wieder zumauern. Würd ich doch nie im Leben machen. Aber allein bring ich euch hier nicht raus, so einfach ist das.«
» Ja«, sagte Alex, »wahrscheinlich haben Sie recht.«
» Und ob ich das hab«, antwortete Seiler. Er schob mit einer Hand Hassos Kopf zur Seite. »Geh weg, Hasso, du kannst hier nicht helfen.«
Hasso , wiederholte Kasimir in Gedanken und plötzlich saß er wieder auf Seilers Apfelbaum und warf gestohlene Früchte in Max’ Hände.
» Hasso?«, fragte er und wünschte sich, nie auf diesen Baum gestiegen zu sein. »Sind Sie, sind Sie Herr Seiler?« Jeder im Dorf wusste, wie sehr der alte Seiler und sein Hund Kinder hassten, dachte Kasi. Jeder wusste, dass dieser Mann mit nichts und niemandem etwas zu schaffen haben wollte. Was, wenn er sich nun erinnerte, wenn er sich an die Apfeldiebe erinnerte und an die Streiche, die Max und Alex ihm gespielt hatten? Was, wenn er einfach wegging, ohne Rettung zu rufen?
Seiler setzte sich neben das Loch. Hatte er sie also doch tatsächlich gefunden, Sachen gab es. Wenn er das seiner Mona-Lisa erzählte … Seiler betrachtete die enge Öffnung und lächelte. So ein langes Leben lag hinter ihm, aber so gut geschlafen wie letzte Nacht hatte er ewig nicht. Und solch gute Nachrichten, wie er sie in zwei Stunden überbringen konnte, hatte er noch niemals zuvor einem Menschen überbracht. Musste man wirklich erst so alt werden, um sich gut zu fühlen, um ein Ziel vor Augen zu haben? Er zuckte mit den Schultern und streichelte seinen Hund, der zurück zum Loch sprang und erneut zu scharren begann.
» Ja, Hasso, du hast wie immer recht – das Loch ist viel zu klein. Kommt ja gar nicht genug Luft und Licht nach unten.« Seiler nahm seinen Stock und beugte sich über die Öffnung. »Geht mal besser zur Seite«, rief er, »ich versuch das Loch hier ein bisschen größer zu machen, ja?«
» In Ordnung«, kam es von unten, wo die drei Jungen den Gefahrenbereich verließen und sich an die Wand schmiegten.
Ein weiteres Mal setzte der Alte den Hebel an, schickte seinen Hund zur Seite und lehnte sich gegen den Stock. Dieser Stein aber wollte nicht so einfach nachgeben.
» Wirst du wohl«, sagte Seiler, holte tief Luft und sprang mit allem, was er hatte, gegen das Holz. Er zerrte, drückte, Schweiß rann ihm nach wenigen Sekunden übers Gesicht und tief unten im Berg hörten die Kinder den alten Mann kämpfen, hörten ihn fluchen und ächzen. Max schöpfte bei diesen Geräuschen neue Hoffnung, aber diese Hoffnung auf herabstürzende Steine wurde enttäuscht. Gerade startete Seiler einen letzten Versuch, als sich die Welt um ihn herum zu drehen begann.
» Was soll das jetzt wieder«, flüsterte er, breitete beide Arme
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