Apfeldiebe
vertreiben, das Blatt zurück an den Baum tragen und dieses gerade einmal dreißig Zentimeter messende Tor da oben verschließen. Hasso winselte und wartete wie Alex, Kasimir und Timi auf ein Wort Seilers.
» Drei kleine dumme Jungen, wünschten sie wär’n frei, da fiel ein Blatt auf ihren Kopf, da warens nur noch zwei«, sang Max. Drei Köpfe drehten sich zu ihm um. »Ihr solltet euch mal sehen, wie blöd ihr jetzt guckt«, sagte er und lachte. Max lachte so laut, dass es sogar Hassos Klage übertönte.
Timi schüttelte als Erster seine Erstarrung ab. Er rannte zu seinem Bruder, nahm unterwegs die noch zur Hälfte gefüllte Wasserflasche und leerte deren Inhalt über Max’ Kopf. Mit allem hatte Max gerechnet, aber nicht mit einer solchen Reaktion. Er warf den Kopf zur Seite, wollte etwas sagen, hatte den Mund schon geöffnet, da klatschte Timis Hand in sein Gesicht.
» Du bist immer so gemein«, sagte Timi. Tränen liefen ihm übers Gesicht. »Warum? Früher warst du ganz anders.« Und noch eine Ohrfeige. »Alles willst du kaputt machen. Hast du mich denn gar nicht mehr lieb? Max?«
Auch in den Augen des Bruders sammelten sich Tränen. Er starrte durch sie hindurch auf seinen Timi, in dessen Blick alle Enttäuschung dieser Welt lag. Max wollte eine zweite Strophe dichten, eine Strophe, die mit dem Tod des vorletzten Kindes durch einen Höllenhund endete und eine dritte, in der eine Spinne alles regelte, aber Timis Blick brachte alles in ihm durcheinander.
» Da oben ist der Herr Seiler«, sagte Timi und zeigte zur Öffnung, »er holt uns raus und du machst so blöde Sachen. Willst du denn gar nicht wieder nach Hause?«
Nach Hause . Hieß so der Ort, an dem Timis Papa auf Max wartete? Nannte man nach Hause das, was ihn wieder in ein schwaches Kind verwandelte?, überlegte Max. Ja, nach Hause hieß der Ort, an dem es keine Spinnen gab, wo er knien musste, wo es niemals so schön sein konnte wie hier in diesem Berg. Max schüttelte den Kopf, doch Timi sah es schon nicht mehr. Er hatte sich umgedreht, mit seinem Bruder abgeschlossen und wollte zurück zu den anderen, wollte sehen, wie Herr Seiler sie rettete, da hörte er hinter sich Max’ Stimme.
» Nein, ich will nicht wieder zu deinem Papa. Der Berg beschützt mich, Timi und er könnte auch dich vor ihm beschützen.« Timi blieb stehen, zögerte und ging dann doch, ohne sich noch einmal umzudrehen, weiter. »Bleib stehen, wenn ich mit dir rede«, schrie Max. »Schau mich an!« Aber Timi wollte nicht mehr. Er stellte sich zwischen Alex und Kasimir und sah nach oben. Max schrie, dann rollte er sich zur Seite, weiter und immer weiter in den Berg hinein. Sollen sie doch gehen , dachte er. Ich werde diesen Ort hier niemals wieder verlassen.
» Warum sagt er nichts mehr?«, fragte Kasi. Seit Minuten drang kein von ihrem Retter stammendes Geräusch mehr nach unten.
» Ist er weg?«, fragte Timi.
» Er ist bestimmt ins Dorf, Hilfe holen«, versuchte Alex eine Erklärung abzugeben, aber irgendwie konnte er selbst nicht an das Gesagte glauben. Auch Kasi schüttelte den Kopf.
» Dann hätte er seinen Hund nicht hiergelassen.«
» Hallo?«, rief Alex, beide Hände zu einem Trichter geformt vor dem Mund. »Herr Seiler?«
Keine Antwort.
» Vielleicht hat er seinen Hund hiergelassen, damit der das Loch bewacht?« Dies schien Timi eine halbwegs einleuchtende Erklärung zu sein. Herr Seiler hatte sich auf den Weg gemacht und Hasso an einen Baum gebunden. Aber warum? Wieso musste ein Loch bewacht werden? Auch Alex wollte das gerade fragen, da lieferte Kasi ein Argument, welches, jedenfalls im Zusammenhang mit dem alten Seiler, alles einigermaßen schlüssig erscheinen ließ.
» Damit wir uns nicht so allein fühlen«, sagte Kasi, »deshalb hat er Hasso hiergelassen.«
» Und ist einfach so gegangen? Ohne ein Wort?«, fragte Timi. Alex zuckte nur mit den Schultern.
» Klar, warum nicht? Du kennst doch den alten Seiler; irgendwie ist er komisch und komische Leute machen komische Sachen.« So einfach. Und an manchen Tagen starben komische Leute auch. Einfach so.
» Wie lange wird er ins Dorf brauchen?«, fragte Timi.
» Also, ich schaffe es in einer halben Stunde«, erklärte Alex, »aber dann renne ich die Hälfte der Strecke. Der Seiler, der braucht mindestens eine Stunde. Eher mehr.«
» Zwei?« Alex nickte. »Und dann noch eine Stunde, bis die Helfer hier sind?« Wieder nickte Alex. Also lagen drei Stunden Warten vor ihnen, hieß das Ergebnis ihrer
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