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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Überlegungen, die wirklich letzten drei Stunden in diesem Berg. Seiler hatte sich ohne lange Erklärungen auf den Weg gemacht und seinen Hund zurückgelassen – daran wollten sie glauben. Und sie glaubten es.

    Die Stunden verstrichen und mit ihnen wanderte das vom Tag durch das Loch geworfene Rund über die Innenseite des Trichters. Wie eine Sonnenuhr erzählte dieser helle Fleck von Minuten, die es niemals wieder geben sollte, doch keines der Kinder trauerte auch nur einer einzigen dieser Minuten hinterher, im Gegenteil: sie sollten verstreichen, diese Minuten, sie sollten sich auf den Weg machen, denn jeder Millimeter, den diese zahlenlose Uhr da oben zählte, brachte die Kinder ihrer Befreiung ein Stück näher. Schulter an Schulter lagen Timi, Kasimir und Alex auf der Schutthalde und sahen nach oben, wollten diesen winzigen Ausschnitt, der ihnen ein paar Zweige und Blätter und dahinter Bruchstücke des Himmels schenkte, keinen Moment aus den Augen verlieren, als könne ein zu langes Zwinkern über ihnen einen Mechanismus in Gang setzen, einen Sesam-schließe-dich . Als für den Bruchteil einer Sekunde eine Amsel über diese Öffnung schwebte, schrie Timi auf und riss den Arm nach oben.
    » Da! Ein Vogel!«
    » Ach was«, sagte Alex, »das war nur ein Blatt.«
    » Nein, ein Vogel«, beharrte Timi, »ich hab es ganz deutlich gesehen. Oder hast du schon einmal ein Blatt mit Flügeln gesehen?«
    Die Uhr tickte weiter, ohne dass ein Retter erschien, einzig Hasso steckte in unregelmäßigen Abständen seinen Kopf in das Loch, schnüffelte und verschwand wieder. Der Lichtfleck wanderte weiter und die Kinder setzten sich auf. Ihre Rücken schmerzten. Schließlich verließ eines nach dem anderen seinen Platz und als Kasi die inzwischen verstrichene Zeit abschätzte, standen die drei bereits über eine Stunde, liefen umher und ahnten dabei, dass die von Alex geschätzten drei Stunden längst verstrichen sein mussten.
    Die Sonnenuhr über ihren Köpfen hatte seit Seilers letzten Worten annähernd ein Viertel der Trichterinnenseite überwandert. Kasis Fähigkeit, sich Rechnungen nicht als Zahlen mit Zeichen dazwischen, sondern als Bilder vorzustellen, half ihm, vieles schneller und einfacher zu verstehen als andere Kinder, das war in der Schule so und auch im richtigen Leben. Und auch hier im Berg. Als Alex vor inzwischen einer halben Ewigkeit von drei Stunden gesprochen hatte, hatte Kasi ganz automatisch das Vierundzwanzigstundenrund der Sonnenuhr da oben durch acht geteilt. Drei mal acht gab vierundzwanzig. Die Hälfte eines Viertels , lautete das Ergebnis, danach mussten also drei Stunden verstrichen und Seiler zurück sein. Doch der von Kasimir an der Wand festgelegte Zeitpunkt verging, ohne dass etwas geschah. Hassos Winseln hatte nachgelassen und war inzwischen kaum mehr zu hören. Wahrscheinlich hatte er sich mit seinem Schicksal abgefunden, vermuteten die Kinder und warteten weiter. Jetzt aber, als die Uhr beinahe ein komplettes Viertel des Tages abgemessen, dabei immer weiter in den Berg hineingeblickt hatte und sich seit Kurzem Stück für Stück wieder aus diesem zurückzog, jetzt hielt es Kasi nicht mehr aus. Mittag musste demnach vorüber sein. Fast sechs Stunden vergangen und von Seiler und den Rettern nichts zu sehen und zu hören.
    Alex und Timi plagten ähnliche Gedankengänge, wenn ihnen auch Kasis Blick hinter die über die Felswand ziehende Lichtscheibe und deren Bedeutung fehlte. Als Kasi seine Vermutung, dass inzwischen mindestens fünf Stunden verstrichen sein mussten, in den Trichter stellte, widersprach keiner.
    » Du meinst, er ist einfach so abgehauen?«, fragte Timi. »Aber dann hätte er doch seinen Hund mitgenommen.«
    » Das stimmt.« Alex wusste wie jeder im Dorf, dass dem Alten einzig und allein an seinem Hund etwas lag, auf alles andere pfiff er.
    » Ist er überhaupt noch da?«, fragte Kasi.
    » Wer?«
    » Na, der Hund.« In der Tat hatte sich das Tier schon länger nicht mehr sehen lassen. Hatte Seiler da oben etwa zuerst ein paar Stunden im Gras geschlafen und sich erst vor Kurzem aus dem Staub gemacht? Alex steckte zwei Finger in den Mund und pfiff.
    » Er ist noch da!«, rief Timi. Hassos Bellen näherte sich, dann steckte das Tier den Kopf in das Loch, allerdings nur für eine Handvoll Sekunden. Aber wenigstens wussten sie jetzt …
    » Gar nichts wissen wir.« Alex nahm einen Stein und warf ihn nach oben. Das Geschoss verfehlte sein Ziel um gut einen Meter, prallte gegen den Fels

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